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Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition)

Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition)

Titel: Winter in Prag: Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine K. Albright
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ich selten an meine Großeltern; und wenn ich es einmal tat, stellte ich sie mir als sehr alt vor. Als Erwachsener hatte ich dann Gelegenheit, meine Eltern mit meinen eigenen Kindern spielen zu sehen. Da wurde mir klar, dass ich womöglich selbst einmal Großmutter sein würde. Inzwischen weiß ich, dass Růžena, als sie in Theresienstadt ankam, erst vierundfünfzig war, also noch gar nicht alt – sogar fünf Jahre jünger als ich bei meiner Ernennung zur Außenministerin. Mir ist noch ein Detail eingefallen: Als Kind schwamm ich immer gerne in kaltem Wasser. Wenn ich das machte, rief meine Mutter jedes Mal aus: »Du bist genau wie deine Großmutter.«
    Bild 42
    Růžena Spiegelová
    Ich hätte mir nur gewünscht, dass ihr Schicksal mehr Ähnlichkeit mit meinem gehabt hätte.
    Der Zug, der Růžena Spiegelová zunächst nach Theresienstadt und, einige Tage später, weiter nach Osten brachte, zählte zu den drei Zügen, die unmittelbar mit der Rache der Nationalsozialisten für den Anschlag auf Heydrich in Verbindung standen. Was mit den Passagieren am Ende der Reise genau passierte, ist nicht bekannt, außer dass es keinen Hinweis auf Überlebende gab. So gut wie sicher machte der Zug in Ostpolen Halt, wo die Insassen aus den Waggons geholt und hingerichtet wurden. Nach den Unterlagen in Theresienstadt hieß das Ziel vermutlich Trawniki, wo man 1941 Zwangsarbeitslager errichtet hatte. Die Einrichtung wurde von den Nationalsozialisten genutzt, um sowjetischen und ukrainischen Kriegsgefangenen beizubringen, wie man Wachsoldat in einem Konzentrationslager wurde; im Rahmen ihrer Ausbildung mussten die Lehrlinge andere Gefangene erschießen.
     
    Was meinen Großvater väterlicherseits, Arnošt Körbel, angeht, so wurden ihm nach der Invasion die Früchte einer lebenslangen Arbeit verwehrt. Da er vorzeitig in den Ruhestand gehen musste, hatte er kein Einkommen mehr, und sein Sparbuch brachte keine Zinsen mehr ein. Seit September 1941 mussten alle, die man als Jude identifiziert hatte, den berüchtigten sechszackigen, gelben Stern mit dem Wort »Jude« tragen. Auf ihre Bezugsscheine wurde ein »J« gestempelt, und das hieß: kein Fleisch, kein Fisch, keine Früchte noch Milchprodukte. Es war ihnen nicht erlaubt, ein Telefon oder Radio zu besitzen oder durch das Land zu reisen. Für Arnošt bedeutete das, keine Ausflüge mehr an die dalmatinische Küste, wo er so gerne Urlaub gemacht hatte, weniger mit seiner Frau Olga, sondern mit seinem geliebten Hund Drolik, der aus Liebe zu Frankreich und dem französischen Wort drôle, das zugleich »kleiner Mann« und »Kauz« heißt, so genannt wurde. Während Arnošt am Meer war, nahm Olga gewöhnlich ihre Enkeltöchter Dáša und Milena in die Berge mit. Auch diese Ausflüge waren jetzt verboten.
    Mein Vater betete seine Mutter an, aber Olga und ihre Schwiegertochter Mandula kamen nicht immer gut miteinander aus. Vielleicht lag das daran, dass sie nie Gelegenheit hatten, sich richtig kennenzulernen. Meine Eltern hatten einen großen Teil ihres Ehelebens
in Belgrad oder London verbracht. In der Familie erzählte man sich, dass meine Mutter einmal beim Stricken eines Pullovers einen Fehler gemacht und Olga sich bereit erklärt habe, ihn zu korrigieren. Meine Mutter brachte, während sie zusah, nicht den Mut auf, Olga zu bitten, doch endlich aufzuhören, bis der ganze Pullover schließlich aufgetrennt war.
    Arnošt war liebenswürdig, aber der Hund war sein Ein und Alles. Dáša vergaß nie den Nachmittag, an dem sie beschloss, dass es lustiger wäre zu lesen, statt mit dem altersschwachen Foxterrier seinen täglichen Spaziergang zu machen. Sie band Drolik an einen Türknauf und schlug ihr Buch auf. Als Arnošt nach Hause kam und die Szene sah, wurde er wütend. Ohne ein Wort machte er die Leine an einem Tisch fest und band das andere Ende meiner Cousine um das Handgelenk. Dann machte er einen sehr langen Spaziergang mit dem Hund. »Das soll dir eine Lehre sein«, sagte er später zu ihr, »wie es ist, wenn man seine Freiheit verliert.« Aber schon bald war alles vergeben. Zu ihrem elften Geburtstag bekam Dáša von Arnošt eine achtbändige Encyclopedia Masaryk, ein umfassendes Nachschlagewerk. Noch 72 Jahre danach nahmen die Bände einen Ehrenplatz in ihrer Wohnung ein.
     
    Im Jahr 1940 oder 1941 wurden Arnošt und Olga gezwungen, in eine Mietwohnung zu ziehen, die sie mit anderen jüdischen Familien teilten. Monat für Monat musste die Gemeinschaft enger zusammenrücken. Wenn

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