Winterfest
hatten und zurückfahren konnten, um ihn abzuholen.«
Wieder warf Muravjev einige Sätze in seiner Muttersprache ein.
»Er schlug sich zur Hauptstraße durch und wartete oben auf einem Baum«, übersetzte Milosz. »Aber dann kamen immer mehr Polizeiwagen, mit Hunden. Und ein Hubschrauber. Er konnte nicht länger bleiben.«
Muravjev blickte Wisting in die Augen. »I am sorry. I took your car.«
Wisting fegte das, was passiert war, mit einer Handbewegung hinweg. Teodor Milosz’ Geschichte näherte sich dem Ende und Wisting ermunterte ihn zum Weitersprechen.
»Wir haben eine Abmachung«, erklärte Milosz. »Falls etwas passiert und wir uns verlieren, müssen wir später anrufen und Bescheid sagen. Darius hätte sich nur ein Telefon besorgen und sich melden müssen.« Er senkte den Blick. »Er tat es nicht.«
Wisting lehnte sich zurück. Die Puzzlesteinchen hatten sich ineinandergefügt, aber immer noch waren viele Fragen unbeantwortet.
»Wo ist die Tasche mit dem Geld?«, fragte er.
»Keine Ahnung«, antwortete Teodor Milosz. »Wir dachten, Sie hätten sie vielleicht gefunden, zusammen mit Darius.«
Wisting schüttelte den Kopf.
Algirdas meldete sich zum ersten Mal zu Wort.
»Wer ist der tote Mann in der Hütte?«, übersetzte Teodor Milosz.
»Ein Norweger«, erwiderte Wisting, ohne ins Detail zu gehen.
»Glauben Sie denn, dass er es war, der Darius erschossen hat?«
Wisting musste überlegen, bevor er antwortete. Es war ein wahrscheinliches Szenario, dass Darius Plater geschossen und Trond Holmberg verwundet hatte, und ebenso, dass Holmberg und Muller Darius Plater die tödlichen Schussverletzungen zugefügt hatten, ehe sie in verschiedene Richtungen flohen. Falls es Rudi Muller war, der Trond Holmberg begleitet hatte.
»Es ist zu früh, um etwas dazu sagen zu können«, sagte er, ohne zu erwähnen, dass der Mann in der Hütte vermutlich nicht an den Schussverletzungen gestorben war, wie es in den Medien verbreitet wurde, sondern durch einen Schlag auf den Kopf.
»Wo sind die Sachen, die Sie aus den Hütten gestohlen haben?«, fragte er, um das Thema zu wechseln.
Milosz breitete die Arme aus. »Sie waren doch auf dem Markt«, antwortete er. »Das meiste ist verkauft.«
»Das meiste?«
Teodor Milosz stand auf und ging zu einem der Metallschränke an der Wand. Er öffnete ihn und winkte Wisting zu sich.
Ein Laptop war zusammen mit einem DVD-Player in einem Regal verstaut. Darunter standen zwei Autostereoanlagen, ein paar MP3-Player und einige Mobiltelefone. Auf dem Boden des Schranks lagen Kerzenständer und andere Dekorationsgegenstände.
Das Licht fiel schräg in den Schrank und brach sich in buntem Glas.
Wisting ging in die Hocke und zog einen gläsernen Gegenstand in Form eines Tropfens heraus. Er hatte die Größe einer geballten Faust. Das Licht spielte darin, als er ihn hochhob. Die Übergänge zwischen den verschiedenen Farben waren nahezu unmerklich und die Farben änderten sich ständig, je nachdem, woher das Licht kam und wie stark es war.
Die Farben und das Licht verliehen dem Glas Leben und man konnte sich leicht vorstellen, dass es ein Tropfen voller Träume, Gedanken und Hoffnungen war.
»Ich kenne den Mann, dem das gehört«, sagte er.
»Das ist hübsch«, meinte Milosz und nickte. »Darius wollte das haben, obwohl es nicht viel wert ist. Jedenfalls nicht hier in Litauen.«
Er schloss die Schranktür.
»Wir haben noch einen Tag gewartet, ob er anrufen würde, aber dann lasen wir im Internet, dass man einen toten Mann in einem Boot gefunden hatte. Uns war klar, dass es Darius sein musste, und deshalb beschlossen wir, nach Hause zu fahren.«
Wisting ließ den Glastropfen in seine Tasche gleiten.
»Ich bin dankbar für alles, was Sie mir erzählt haben«, sagte er. »Wir müssen es durch eine Vernehmung in der Polizeistation noch offiziell machen.«
»Da ist noch jemand, der Sie treffen möchte«, unterbrach Teodor Milosz ihn. Er ging zu der Tür, durch die er hereingekommen war.
»Warten Sie hier«, bat er.
57
Die Frau, die in der Türöffnung erschien, war Mitte zwanzig. Sie hatte ein rundes Gesicht und blonde Locken. Ihre Augen waren mehr grau als blau und die Lidränder waren gerötet. Sie trug einen offenen braunen Mantel, dessen Ärmel zu kurz waren. Wisting erkannte sie auf Anhieb wieder. Das war die Frau, deren Foto Darius Plater bei sich gehabt hatte.
»Das ist Anna«, sagte Teodor Milosz.
Wisting erhob sich.
»Sie sind die Freundin von Darius«, sagte er und
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