Winterfest
Lampe an einem Mast hoch über ihm warf sparsames Licht auf den grauen Asphalt und die abbröckelnde Hauswand. An einer Anschlagtafel hingen halb abgerissene Zettel, auf denen immer wieder das Wort futbolas zwischen den fremden Worten auftauchte. Fußball war eine Sprache, die jeder verstand.
Er blickte auf die Uhr. Drei Minuten vor zwölf.
Seine Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt. Er ging ein paar Schritte aus dem Lichtkegel heraus und entdeckte die Umrisse eines Lieferwagens im Durchgang zwischen zwei dunklen Lagerhäusern, ungefähr sechzig Meter entfernt. Die Scheinwerfer waren gelöscht, der Motor abgestellt. Vor dem Kühler sah er eine Zigarette aufglühen.
»Mister Wisting?«, sagte plötzlich eine Stimme hinter ihm.
Wisting drehte sich um und stand Auge in Auge dem Mann gegenüber, der ihn vor fast einer Woche überfallen hatte. Das kantige Gesicht war ungepflegt, ein Bart oder irgendeine Art Ausschlag bedeckte die untere Gesichtshälfte. Er trug eine dunkelblaue Trainingsjacke, die an den Schultern spannte. Seine Hände hatte er tief in den Seitentaschen vergraben.
»Mister Wisting from Norway?«, wiederholte er.
Wisting nickte. »Mister Muravjev.«
Die Scheinwerfer des Lieferwagens gingen an, dann rollte der Wagen auf sie zu. Der Fahrer sprang heraus und schnippte die Zigarettenkippe weg. Er ging um den Wagen herum und schob die Seitentür auf.
Muravjevs Hand in der rechten Jackentasche umklammerte irgendetwas und er gab Wisting ein Zeichen, die Hände hochzunehmen.
Der Fahrer durchsuchte ihn und nahm ihm Handy, Brieftasche und Pass ab.
Wisting protestierte.
»English not good«, sagte Muravjev, schaffte es aber zu erklären, dass Wisting alles zurückbekommen würde, nachdem sie sich unterhalten hatten. Dann gab er ihm mit einer Kopfbewegung zu verstehen, dass er in den Wagen steigen sollte.
Wisting zögerte, stieg dann aber in den geschlossenen Laderaum.
Muravjev folgte ihm und zog die Schiebetür hinter sich zu. Es roch stark nach Schmierfett, Motoröl und Gummi. Eine Lampe brannte oben an der Wand zur Führerkabine. Wisting nahm auf einem Radkasten Platz.
Sie fuhren schweigend. Wisting versuchte, sich auf den Weg zu konzentrieren. Merkte sich Rechts- und Linkskurven, Abbrems- und Beschleunigungsmanöver, aber er verlor rasch den Überblick. Irgendwann änderten sich die Geräusche des Fahrgestells und es schien, als würden sie eine Brücke überqueren, ohne dass er eine Ahnung hatte, wo sie sich befanden.
Nach fast zwanzig Minuten hielt der Wagen an. Der Motor wurde abgestellt, dann klappte eine Autotür. Ein Garagentor wurde geschlossen, bevor die Seitentür aufging. Grelles Licht fiel in den Laderaum und jetzt erkannte er in dem Fahrer eines der vier Mitglieder des Paneriai-Quartetts. Algirdas Skvernelis.
Wisting stand auf und stieg aus dem Wagen, voller Ungewissheit, was ihn erwartete.
Er schluckte, wischte sich mit der Hand den Schweiß von der Oberlippe und versuchte zu verheimlichen, dass sein Atem zitterte.
Sie befanden sich in irgendeiner stillgelegten Lagerhalle. Die Luft war klamm und kalt, aber es roch nach Heu und Stroh. Vermutlich waren sie irgendwo draußen auf dem Land.
Muravjev ging auf eine Stahltür zu. Es hallte in dem großen Gebäude, als er einige Bolzen entriegelte, und Rost rieselte zu Boden.
Sie bewegten sich durch ein kleines Labyrinth von Gängen und Treppen, bevor sie in einen schwach erleuchteten Raum mit Neonröhren an der Decke kamen. Er war wie eine Art Wohnzimmer eingerichtet, mit einer abgewetzten Sofagruppe, ein paar kaputten Stühlen und einem kleinen Tisch vor einem Fernseher. An der Wand standen alte Garderobenspinde aufgereiht. Es roch durchdringend nach Schweiß und ungewaschener Kleidung.
Eine Tür am hinteren Ende des Raumes ging auf. Ein großer Mann mit massigem Nacken, flacher Nase und kleinen Augen machte ein paar Schritte in den Raum hinein und ließ die Tür hinter sich offen stehen.
Wisting erkannte ihn von dem Foto wieder, das Ahlberg ihm gezeigt hatte. Das war der Dritte in der Gruppe, die in Norwegen auf Einbruchstour gewesen war.
Der Mann schloss die Tür hinter sich und ging ihnen entgegen, dann streckte er die Hand aus und stellte sich vor. Teodor Milosz.
Er sprach gut Englisch und bat Wisting, sich auf die Sofagruppe zu setzen.
»Ich bedaure das alles«, sagte er und nahm schräg gegenüber Platz. »Aber die Situation, in die wir geraten sind, hat uns vorsichtig und misstrauisch gemacht.«
»Ich verstehe«,
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