Winterfest
gebackenem Brot und Filterkaffee. Martin Ahlberg saß an einem Tisch direkt am Fenster. Er war fast fertig mit essen.
Wisting versorgte sich mit Orangensaft und einer großen Portion Rührei, Bacon und Toast, ehe er ihm gegenüber Platz nahm.
»Ich fahre heute nach Hause«, sagte er. »Um elf geht ein SAS-Flug über Kopenhagen.«
Ahlberg setzte seine Tasse ab. Noch ehe er etwas sagen konnte, fuhr Wisting fort: »Teodor Milosz, Valdas Muravjev und Algirdas Skvernelis werden um zwölf im Polizeipräsidium erscheinen, um eine formale Aussage zu machen. Sie bringen alles Diebesgut mit, das noch nicht verkauft ist.«
Er spießte mit der Gabel ein Stück Bacon auf und führte es zum Mund. Dann berichtete er, was passiert war, nachdem sie am Abend ins Hotel zurückgekehrt waren.
Martin Ahlberg schüttelte den Kopf. »Du weißt nicht, was das für Menschen sind«, sagte er.
Schon als er das Hotel in der Nacht verlassen hatte, war Wisting darauf gefasst gewesen, dass sein Vorgehen bei Ahlberg auf Kritik stoßen würde. Wenn das Ergebnis des nächtlichen Treffens anders ausgefallen wäre, hätte die Kritik mehr Berechtigung gehabt.
»Jetzt weiß ich es«, erwiderte er und aß weiter.
Ahlberg seufzte resigniert. »Glaubst du ihnen?«
Wisting sah keinen Grund, den Litauern ihre Schilderung der Ereignisse nicht zu glauben, auch wenn sie kein einheitliches Bild abgaben. Immer noch kannten sie nur Teile dessen, was passiert war. Die wichtigsten Bruchstücke fehlten.
Er stand auf und holte sich einen Kaffee. Bevor sie den Frühstücksraum verließen, diskutierten sie einige praktische Details bezüglich Ahlbergs weiterer Arbeit. Dann holte Wisting seinen fertig gepackten Koffer und checkte aus.
Ahlberg begleitete ihn zur Schlange der wartenden Taxis. »War mir ein Vergnügen«, sagte er und streckte zum Abschied die Hand aus.
»Danke gleichfalls«, erwiderte Wisting.
Er hatte den Kollegen als tüchtigen Ermittler kennengelernt. Methodisch und gründlich. Aber er hatte auch festgestellt, dass ihre Denkweisen sehr verschieden waren.
Er hielt Martin Ahlberg für einen erschöpften Polizisten. Einen, der zu viele Menschen getroffen hatte, die Opfer von Kriminellen geworden waren. Zu viele Menschen, die man ihrer Sicherheit beraubt hatte. Sein Arbeitsalltag unter kriminellen Osteuropäern hatte die Nuancen weggeschliffen. Man sollte vielleicht meinen, das Gegenteil sei der Fall, aber wenn man erschöpft genug war, hatte man keine Lust mehr, sich mit der Komplexität der Welt auseinanderzusetzen. Da war es einfacher, sich mit einer Schwarz-Weiß-Welt von Verbrechern und Opfern einzurichten. Obwohl man im tiefsten Inneren nur zu gut wusste, dass nicht immer so einfach zu entscheiden war, bei wem die moralische Schuld lag. Die juristische Schuld stand in der Regel ziemlich schnell fest, aber alle, die seit Jahren in der Verbrechensbekämpfung arbeiteten, wussten, dass die Moralfrage wesentlich komplexer war.
Mit der Taxifahrt ließ er Vilnius hinter sich. Eine Stunde später saß er auf Platz 18F und sah die Stadt unter sich kleiner werden, bis sie unter der grauen Wolkenschicht verschwand. Einen Moment lang grübelte er über den Umstand nach, dass er in Friedenszeiten in Norwegen zur Welt gekommen war. Und ob es überhaupt irgendeine Art von Gerechtigkeit gab.
Dann brach das Flugzeug durch die Wolkendecke, und um ihn herum war nur noch blauer Himmel.
59
Es begann schon zu dämmern, als Wisting sich Larvik näherte. Der Himmel war tiefblau, aber klar. Der Mond flirrend weiß, voll und rund, mit einem leuchtenden Hof.
Als er von der Autobahn abfuhr, klingelte sein Handy.
»Wo bist du?«, fragte Hammer.
»Wieso?«, fragte Wisting zurück.
»Ich bin draußen bei Gusland«, erklärte Hammer. »Du solltest herkommen und es dir selbst ansehen. Du hattest recht. Hier liegt eine Leiche.«
Er beendete das Gespräch ohne weitere Erklärung. Wisting packte das Steuer fester und bog in die Straße nach Helgeroa.
Zehn Minuten später hielt er auf dem Parkplatz der Feriensiedlung an, die in der letzten Woche im Fokus der Medien gestanden hatte. Die freiwilligen Suchmannschaften waren dabei, ihre Sachen zusammenzupacken, und der erste Reporter war aufgetaucht.
Ein Stück weiter den Pfad hinunter begegnete er einem uniformierten Polizisten, der ihm eine Taschenlampe gab und ihm die Richtung in den Niederwald hinein zeigte.
Wisting folgte dem Trampelpfad, der von abgebrochenen Zweigen gesäumt war. Ein Stück weiter vorn hörte er
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