Winterfest
der Räuber die Taschen ab und hob die Hände.
69
Der Mann, der während des Raubüberfalls der Aktivere gewesen war, kniete auf der Erde, die Hände im Nacken verschränkt. Einer der Männer des Einsatzkommandos legte ihm Handschellen an und zog ihm die Sturmhaube vom Kopf.
Es war Rudi Muller.
Er zwinkerte mit den Lidern und blies sich einen Wassertropfen von der Nase. Wisting war verblüfft, wie leicht der Mann sich ergeben hatte. Aber wenn er sich die Wand aus bewaffneten Einsatzkräften ansah, die ihn umringten, war leicht nachzuvollziehen, dass Muller seine ausweglose Lage eingesehen hatte.
Vom Flussufer kamen laute Rufe. Der havarierte Zodiac war hundert Meter flussabwärts an Land getrieben. Eine Gruppe Polizisten zog den Bootsführer ans Ufer hinauf. Er bekam die gleiche Behandlung wie Muller. Sein Kraushaar stand nach allen Seiten ab, als ihm die Maske vom Kopf gezogen wurde. Wisting erkannte in ihm den dicken Mann von den Fahndungsfotos aus dem Shazam Station .
Der Räuber, der das Maschinengewehr auf Wisting gerichtet hatte, ohne zu schießen, lag auf dem Boden und krümmte sich vor Schmerzen. Owesens Schuss hatte ihn ins linke Knie getroffen. Der Stoff seines Overalls war zerfetzt und aus der offenen Wunde ragten Knochensplitter der zerschmetterten Kniescheibe. Ein Mann des Einsatzkommandos leistete Erste Hilfe, während ein anderer den Räuber mit seiner Waffe in Schach hielt.
Kurt Owesen ging zu ihm hin. Wisting folgte einige Schritte hinter ihm und fuhr sich mit der Hand über sein nasses Gesicht.
Der Leiter des Einsatzkommandos zog dem Täter mit einer raschen Bewegung die Maske ab. Der Mann warf sich hin und her, als würde die Berührung ihm noch mehr Schmerzen bereiten. Seine Haare waren nass von Wasser und Schweiß und klebten an seinem Gesicht. Der Blick irrte ruhelos hin und her, es war unmöglich, ihm in die Augen zu sehen.
»Name!«, verlangte Owesen.
Der Mann zu seinen Füßen spuckte aus. Owesen blickte zu Wisting, der den Kopf schüttelte. Er hatte den Mann noch nie gesehen.
»Wie heißen Sie?«, fragte Owesen.
Immer noch keine Antwort.
»Er heißt Frode Jessing«, sagte Leif Malm hinter ihnen. »Sie nennen ihn Yes-man«, fügte er hinzu und trat dann neben sie.
Die unverletzten Räuber wurden jeder in einen Polizeiwagen gesetzt. Der Mann vor ihnen sollte auf dem Boden liegen bleiben, bis der Rettungswagen eintraf.
Wisting sah sich nach den beiden Wachschutzleuten um. Er wollte mit ihnen sprechen. Wollte versuchen, sie zu beruhigen, nach allem, was sie durchgemacht hatten.
Den Mann konnte er nicht entdecken, aber die Frau stand vor einem zivilen Polizeiwagen und sprach mit einem uniformierten Beamten. Sie hatte irgendetwas in den Händen, das sie ihm zeigte.
Der Polizist winkte Wisting zu sich heran.
Wisting ging zu ihnen. Die Frau war zierlich, mit einem hellen Teint und blondem Haar, und konnte nicht viel älter als Line sein. Sie zitterte am ganzen Körper und er konnte die Verzweiflung und den Schmerz in ihren tränennassen Augen sehen.
»Wir haben eine neue Situation«, sagte der Polizist und deutete mit einem Kopfnicken auf ein Mobiltelefon, das die Frau mit beiden Händen umklammerte.
Wisting legte eine Hand auf ihre zitternden Hände und griff mit der anderen nach dem Telefon. Sie ließ es widerstrebend los, als wäre es etwas Wertvolles.
Auf dem Display war eine MMS zu sehen, geteilt in eine obere und eine untere Hälfte. Im oberen Teil turnte ein kleines Mädchen an einem Kletterbaum. Sie drehte sich gerade um und lächelte den Fotografen an, als das Foto geknipst wurde, so als hätte jemand etwas Lustiges zu ihr gesagt. Der untere Teil des Bildes zeigte eine Pistole, verdeckt hinter einer Zeitung, sodass sie nur für denjenigen sichtbar war, der die Handykamera hielt.
Ruf niemanden an außer mir, wenn sie am Leben bleiben soll , stand unter dem Foto.
»Ihre Tochter?«, fragte er.
Die Frau vor ihm bekam kein Wort heraus, sondern nickte als Antwort und schlug sich die Hände vors Gesicht.
Auf diese Art hatten sie es geschafft, den Raubüberfall durchzuführen, begriff Wisting. Sie hatten die Wachschutzfrau gezwungen, auf der Straße anzuhalten, und den Geldtransport gekapert. Hatten ihn zu einem trojanischen Pferd gemacht, das sie direkt in das Gelddepot brachte.
Wisting schluckte. Er hatte in der letzten Zeit beobachtet, dass derartige Fälle zunahmen. Die Finanzunternehmen waren besser darin geworden, ihre Werte zu sichern, und damit nicht mehr so
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