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Winterfest

Winterfest

Titel: Winterfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jørn Lier Horst
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attraktiv für Erpresser. Jetzt waren es oft Wachleute oder gewöhnliche Funktionäre, die Geiselnahme und Erpressung ausgesetzt waren. Oder Polizisten. Er hatte schon öfter davon gehört, dass Polizisten in anderen Ländern gezwungen worden waren, Beweismaterial zu unterschlagen oder zu vernichten, oder dafür zu sorgen, dass Ermittlungen eingestellt wurden.
    »Sie haben Emma«, schluchzte die Frau in ihre Hände. »Sie ist erst fünf.«
    Ihr schmaler Rücken bebte. Wisting ließ seine Hand mehrmals leicht über die Wachschutzuniform gleiten, wäh rend der Polizist, bei dem sie standen, die Geschichte erzählte.
    »Sie rief den Absender der MMS an und bekam gesagt, dass die Räuber in einem Auto hinter ihr fuhren. Ihr wurde befohlen, anzuhalten und sie in den Geldtransporter steigen zu lassen.«
    Wisting legte der Frau die Hand auf die Schulter. »Es wird alles gut«, versicherte er und spürte, wie die Gewissheit in seiner festen Stimme dafür sorgte, dass ihr Zittern nachließ. »Wo wurde das Foto aufgenommen?«, fragte er.
    »Auf einem Spielplatz in der Nähe unserer Wohnung«, antwortete die Frau, die ihre Fassung wiedergewonnen hatte. »Meine Mutter passt tagsüber auf sie auf.«
    Wisting zeigte auf den gelb-roten Regenanzug des Kindes. »Hat sie das heute an?«
    »Ich glaube schon. Sie wollten heute zum Spielplatz.«
    »Haben Sie versucht, Ihre Mutter anzurufen?«
    Die Wachschutzfrau schüttelte den Kopf. »Dann würden sie ja wissen …«, begann sie, brach dann aber wieder zusammen.
    Wisting schluckte und schloss die Augen, um klarer denken zu können. Er musste sich konzentrieren. Das Foto war ganz sicher echt. Es war heute aufgenommen worden. Trotzdem war es aller Wahrscheinlichkeit nach ein Bluff. Hätten sie das Kind in ihrer Gewalt gehabt, wäre das Foto in einem geschlossenen Raum aufgenommen worden. Das Kind und die Großmutter zu kidnappen, hätte ein Risiko bedeutet.
    Wisting öffnete die Augen wieder und starrte auf den Dienstwagen, in dessen Fond Muller saß. Der Fahrer war gerade im Begriff, einzusteigen.
    Wisting rief zu ihm hinüber und bat ihn zu warten. Dann ging er rasch zu dem Wagen und setzte sich neben Rudi Muller.
    »Mein Name ist William Wisting«, sagte er. »Ich bin verantwortlich für die Ermittlungen.«
    Rudi Muller saß vornübergebeugt, die Hände hinter dem Rücken mit Handschellen gefesselt. Er blickte Wisting an, sagte aber nichts. Trotzdem hatte Wisting den Eindruck, dass Muller wusste, wer er war.
    »Wir werden uns in den nächsten Tagen über vieles zu unterhalten haben«, fuhr er fort. »Aber jetzt im Moment ist es so, dass nichts, was Sie sagen, gegen Sie verwendet wird. Im Moment interessiert mich nur eins.«
    Der Mann neben ihm schwieg weiterhin.
    »Das kleine Mädchen«, sagte Wisting. »Geht es ihm gut?«
    Die Augen des anderen wurden schmal. »Was für ein Mädchen?«, fragte er.
    »Sie erhalten nur diese eine Gelegenheit, etwas von dem, was Sie angerichtet haben, wiedergutzumachen«, erklärte Wisting. »Jetzt geht es nur um die Tochter der Frau, die den Geldtransporter gefahren hat.«
    Rudi Muller wand sich und versuchte, eine etwas angenehmere Position für seine auf dem Rücken gefesselten Arme zu finden. »Keine Sorge«, sagte er leise. »Ihr wird schon nichts geschehen. Nicht, solange ich keine entsprechende Anweisung gebe.«
    Wisting musterte den Mann neben sich und überlegte, was dessen Worte wohl wert waren. Schließlich entschied er sich, ihm zu glauben.
    »Danke«, erwiderte er und nickte Rudi Muller kurz zu, bevor er wieder ausstieg.
    Er schlug ein paar Mal mit der flachen Hand auf das Autodach, zum Zeichen, dass der Wagen abfahren konnte.

70
    Line war in ein Büro gebracht worden, das anscheinend nicht mehr benutzt wurde. An den Wänden waren mit Reißzwecken ein paar alte Filmplakate angebracht und am Schwarzen Brett hing eine Telefonliste, aber der Schreibtisch war leer, Telefon und Computer waren verschwunden.
    Draußen schlug der Regen schräg gegen das schmutzige Fenster und lief in kleinen, krummen Bächen langsam die Scheibe hinab. Sie war in der vierten oder fünften Etage und blickte auf lange Autoschlangen hinunter. Der Raum war viel zu weit oben, als dass jemand auf die Idee kommen könnte, auf diesem Weg zu fliehen. Außerdem ließ das Fenster sich nur einen schmalen Spalt öffnen.
    Während sie dort stand, gingen die Straßenlaternen an.
    Sie kehrte zurück zu ihrem Stuhl, nahm eine der alten Zeitschriften, die sie schon gelesen hatte, und

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