Winterfest
hat?«
»Eigentlich nicht. Es war eine Aktion, die seit einem halben Jahr regelmäßig läuft. Alle drei Wochen zehn Kilo Kokain. Es heißt, dass jemand Wind davon bekommen hat und es ein Überfall war.«
Wisting kritzelte Stichworte auf seinen Block. »Können wir uns zu einer gemeinsamen Besprechung zusammensetzen?«, fragte er.
»Ich finde, das sollten wir tun«, erwiderte Leif Malm. »Wir haben um elf ein Treffen mit unserer Quelle. Anschließend können wir zu euch fahren. Hoffentlich haben wir dann weitere Informationen.«
Sie beendeten das Telefonat. Wisting war sich nicht sicher, was das bedeutete, aber er spürte, wie die Spannung in seinem Bauch zu kribbeln begann. Sie waren da einer Sache auf der Spur.
Es war eine halbe Stunde vor der Morgenbesprechung. Er hörte bereits mehrere der Ermittler auf dem Flur und freute sich darauf, ihnen die neue Entwicklung mitzuteilen.
Wieder klingelte das Telefon. Es war Line. Noch bevor sie ein Wort gesagt hatte, hörte er, dass etwas nicht in Ordnung war.
Sie atmete zitternd und stieß die Worte stockend hervor: »Ich habe einen Toten gefunden.«
Er hatte verstanden, was sie sagte, bat sie aber trotzdem, es noch einmal zu wiederholen.
»Ich gehe gerade spazieren«, erklärte sie. »Hier liegt ein to ter Mann in einem Boot. Ich glaube, es ist an Land getrieben.«
»Bist du sicher, dass er tot ist?«
»Die Möwen haben seine Augen ausgehackt.«
Wisting bemühte sich, seiner Stimme einen ruhigen Klang zu geben. »Beschreib mir genau, wo du bist.«
Er hatte eine Karte vor sich liegen, auf der Thomas R ø nningens Hütte markiert war. Er zog die Karte zu sich heran und studierte sie, während Line es ihm erklärte. Der Fundort lag unmittelbar westlich des Campingplatzes von Oddane Sand. Nur die Havnebukta mit Råholmen und Bramskæra trennte den neuen Leichenfund von dem am Freitag.
»Okay. Bleib, wo du bist«, bat er. »Wir kommen.«
Er hatte ein ungutes Gefühl. Line da draußen, ganz allein. Dort war es jetzt nicht sicher.
22
Sie mussten dem Pfad einige Hundert Meter durch dichtes Erlengebüsch folgen, um zu der Stelle zu gelangen. Wisting ging voran. Er hatte Torunn Borg und Benjamin Fjeld mitgenommen. Vom Auto aus hatte er Espen Mortensen Bescheid gesagt, der mit dem Wagen der Spurensicherung nachkommen wollte.
Line stand noch dort, die Arme vor der Brust verschränkt. Ein Windstoß zerrte an ihrem Haar, bevor es sich wirr um ihr schmales Gesicht legte. Sie war ganz durchnässt vom leichten Nieselregen und Wisting sah ihr an, dass sie fror.
Er zog sie an sich und umarmte sie stumm. Dann ließ er sie los und rieb ihr rasch die Arme, um sie zu wärmen. »Geht’s dir gut?«, fragte er.
Sie nickte und er begriff, dass es stimmte. Sie hatte früher schon ähnliche Situationen erlebt.
Er entfernte sich ein paar Schritte von ihr und blickte zu dem Boot. Es schrubbte über die glatt geschliffenen Steine und schaukelte mit jeder Welle, die an Land rollte, unruhig von einer Seite zur anderen.
Ein toter Mann saß gegen den Achtersteven gelehnt. Er hatte große, an Geschwüre erinnernde Verletzungen im Gesicht, die von den Attacken der Möwen herrührten.
Wasser war in das Boot geschwappt und reichte dem To ten bis zu den Hüften. Er trug eine offene schwarze Jacke und darunter einen grauen Pullover, steif von geronnenem Blut.
Wisting wandte sich wieder seiner Tochter zu. Er wünschte, das hier wäre ihr erspart geblieben. Sie war zwar hart im Nehmen, aber er wusste nur zu gut, dass ein solcher Anblick immer wiederkehren konnte, sogar Jahre später noch. Er hatte aufgehört zu zählen, wie oft er schweißgebadet aus dem Schlaf geschreckt war, mit bestialischen Bildern vor Augen. Bilder aus der Wirklichkeit. Und Line konnte nicht wissen, wie sehr die Unvorhersehbarkeit solcher Flashbacks sie prägen würde. Wie die Dunkelheit ihren Charakter ändern und zu etwas Bedrohlichem werden konnte, und wie Dinge, die man gesehen hatte, zu neuem Leben erwachten und sich im Bewusstsein festsetzten. Wisting wusste das nur allzu gut.
Er räusperte sich und wurde dienstlich. »Wir brauchen eine offizielle Aussage von dir«, sagte er und wandte sich an Benjamin Fjeld. »Kannst du sie zur Hütte begleiten?«
Der junge Polizist nickte. »Natürlich.«
Wisting begegnete wieder Lines Blick. »In Ordnung?«
Sie lächelte flüchtig. »Ja, klar.«
»Und anschließend, was hast du da vor?«
»Wie meinst du das?«
»Willst du nach Hause fahren? Ich muss arbeiten, aber Suzanne
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