Winterfest
Haar.
Die beiden litauischen Polizisten erklärten, sie seien Policijos , und zeigten ihre Dienstmarken. Wisting erkannte den Namen Valdas Muravjev in dem Wortschwall, der daraufhin folgte.
Die Frau schüttelte den Kopf und warf einen Blick über die Schulter zurück in das Haus, wo das Geschrei des Kindes lauter geworden war. Dann erwiderte sie etwas und zeigte auf ein handgeschriebenes Schild im Fenster, auf dem Kambari ų nuoma stand.
Antoni Mikulskis zog einen Notizblock aus der Manteltasche und stellte einige Fragen, die die Frau offenbar nicht beantworten konnte. Dann wurde ihre Stimme gereizt und sie gestikulierte mit den Armen. Der Kriminalchef antwortete ihr in scharfem Ton, bevor das Gespräch mit einem resoluten Kopfnicken der litauischen Polizisten beendet wurde. Die Frau antwortete mit weiteren Erklärungen, ehe sie ins Haus ging und die Tür hinter sich schloss.
»Er ist ausgezogen«, fasste Antoni Mikulskis zusammen. »Sie wohnt hier allein und vermietet ein kleines Zimmer.«
Der Polizist zeigte auf das handgeschriebene Schild im Fenster, als wollte er die Erklärung der Frau unterstreichen. Kambari ų nuoma. Zimmer zu vermieten.
»Er ist vor etwas über einer Woche ausgezogen und schuldet ihr noch hundert Litas für vierzehn Tage Unterkunft. Sie hat keine Ahnung, wo er ist, nur dass er versuchen wollte, sich woanders Arbeit zu besorgen. Jetzt weiß sie nicht, woher sie das Geld nehmen soll, um Nahrung für das Kind zu kaufen. Das Zimmer lässt sich nur schwer vermieten. Es fährt kein Bus von hier in die Stadt.«
Hundert Litas, dachte Wisting. Die Frau vermietete ein Zimmer in ihrem Haus für weniger als fünfhundert Kronen im Monat. Das war der gleiche Betrag, den er am Abend zuvor dem kleinen Mädchen für seine Strickpuppe bezahlt hatte.
»Fahren wir weiter?«, schlug Ahlberg vor.
Der litauische Kriminalchef bat darum, die Liste mit den Adressen sehen zu können, die sie besuchen wollten. Wisting reichte sie ihm.
»Teodor Milosz wohnt am nächsten«, erklärte der Kriminalchef und gab die Papiere zurück. »Nur fünf Minuten entfernt.«
»Dann lassen Sie uns dorthin fahren«, sagte Wisting.
Er stieg in den Wagen und betrachtete das Foto des Mannes, den sie als Nächstes aufsuchen würden. Teodor Milosz war vierundzwanzig und der Älteste der litauischen Männer, die im norwegischen Geheimdienstregister den Beinamen Paneriai-Quartett bekommen hatten. Er schien eine Art Anführer zu sein. Ihm gehörte der graue Lieferwagen, in dem sie unterwegs waren, und er war es auch, der die Fährtickets über die Ostsee besorgt hatte. In dem Geheimdienstmaterial, das Wisting vor sich hatte, waren auch die Telefondaten enthalten, die ihn zeitlich und örtlich mit den Ereignissen draußen bei Nevlunghavn in Verbindung brachten.
Die nächste Adresse lag in dichter bebautem Gebiet, aber auch hier war der Verfall offenkundig. Der Polizist am Steuer verfuhr sich zwei Mal, ehe er vor einem flachen gemauerten Haus hielt, das fast ganz von ein paar großen Bäumen verdeckt wurde. Mehrere Fenster waren mit Holzbrettern vernagelt. Das Dach war eingesunken und voller Moos. Ein ausrangierter Lastwagen ohne Räder stand auf ein paar Steinblöcken und war Teil der Landschaft geworden. Kinderspielzeug auf einem Erdhügel zeugte jedoch davon, dass das Haus bewohnt war.
Wisting stieg aus dem Auto. Es roch nach aufgeweichter Erde und faulenden Blättern und schwach nach Holzfeuer.
Sie gingen auf das Haus zu. Der Zementputz bröckelte an Ecken und Gesimsen von der graubraunen Fassade. Unter dem Ostgiebel hing die Dachrinne lose herab.
Das eine der beiden eisernen Geländer an der breiten Treppe zur Eingangstür war teilweise zusammengebrochen. Sie mussten über mehrere Beutel voller Müll steigen, um an die Tür zu kommen, die fleckig und voller Dreckspritzer war.
Der Kriminalchef klopfte.
Kurz darauf wurde die Tür von einer jungen Frau mit einem Kleinkind auf dem Arm geöffnet. Sie trug einen dunkelgrünen Pullover und hatte glattes, braunes Haar, das offen herabhing.
Die Polizisten stellten sich vor und Wisting hörte das Wort Norvegija heraus, als der Kriminalchef auf ihn deutete.
Die Frau nickte, als sie nach Teodor Milosz fragten, und sagte etwas in fragendem Tonfall. Antoni Mikulskis antwortete und die Worte gingen hin und her, dann drehte der Kriminalchef sich zu Wisting um.
»Sie ist seine Schwester«, erklärte er. »Teodor Milosz ist nicht zu Hause. Sie sagt, dass er in Norwegen war, um zu arbeiten,
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