Winterjournal (German Edition)
jener Stürme, die zweiundsiebzig Stunden lang ununterbrochen an sämtlichen Fenstern, Läden, Türen und losen Dachziegeln rüttelten, der gelbe Ginster, der im Frühling die Hügel bedeckte, die blühenden Mandelbäume, die Rosmarinbüsche, die struppigen, verkrüppelten Eichen mit ihren knorrigen Stämmen und schimmernden Blättern, der eisige Winter, der dich zwang, die erste Etage des Hauses abzusperren und in den drei Parterrezimmern zu leben, wovon eins mit einem Radiator und ein anderes mit einem Holzofen beheizt wurde, die Ruinen der Kapelle auf einem Felsvorsprung in der Nähe, wo die Tempelritter auf ihrem Weg in die Kreuzzüge Rast zu machen pflegten, das Knistern, das jede Nacht aus deinem schwächlichen Transistorradio drang während der zwei Wochen, in denen du den Übertragungen des Frankfurter US -Army-Senders von den Play-offs der Mets gegen Cincinnati in der National League und der Mets gegen Oakland in der World Series zu folgen versuchtest, und dann der Hagelsturm, an den du kürzlich dachtest, das Hämmern der Eisbrocken auf dem Terrakottadach, die dann im Gras vor dem Haus schmolzen, vielleicht nicht ganz so groß wie Basebälle, aber wie Golfbälle für Dreimetermenschen, und dann einmal Schnee, der alles für kurze Zeit weiß machte, und dein nächster Nachbar, ein unverheirateter Pachtbauer, der allein mit seinem Trüffelhund in einem verfallenen gelben Haus lebte und von der Weltrevolution träumte, die Schafhirten, die in der Hügelkneipe von Moissac-Bellevue tranken, Hände und Gesichter schwarz von Schmutz, die schmutzigsten Männer, die du je gesehen hast, ihr südfranzösischer Akzent mit den gerollten
R
, den angehängten
G
, die aus den Wörtern für Wein und Brot
weng
und
peng
machten, und den
S
, die man anderswo in Frankreich weglässt, in der Provence aber weiterhin ausspricht, so dass
étrangers
zu
estrangers
(Fremden, Ausländern) werden, und überall in der Gegend auf Felsen und Mauern der Slogan
Occitanie Libre!
, denn dies war das mittelalterliche Land, in dem nicht
oui
, sondern
oc
gesagt wurde, und ja, du und deine Freundin wart
estrangers
in diesem Jahr, aber wie viel angenehmer war das Leben in diesem Teil des Landes, verglichen mit der spröden Förmlichkeit und nervösen Hektik von Paris, und wie warmherzig kamen euch die Leute im Süden entgegen, selbst das spießige Paar mit dem unmöglichen Namen Assier de Pompignon, das euch gelegentlich zum Fernsehen in sein Haus im Nachbardorf Régusse einlud, zu schweigen von den Leuten, die du im sieben Kilometer entfernten Aups kennenlerntest, wo du zweimal die Woche einkaufen gingst, ein Ort mit drei- oder viertausend Einwohnern, der dir in den Monaten der Isolation allmählich wie eine riesige Metropole vorkam, und da es in Aups nur zwei nennenswerte Cafés gab, eins für die Rechten und eins für die Linken, gingst du regelmäßig in das für die Linken, wo die Stammgäste dich willkommen hießen, die schmuddligen Bauern und Handwerker, die entweder Sozialisten oder Kommunisten waren, die groben Dörfler, denen die jungen amerikanischen
estrangers
bald ans Herz wuchsen, und du weißt noch, wie du 1974 mit ihnen in dieser Bar gesessen und im Fernsehen die Berichte über die Präsidentschaftswahl verfolgt hast, den Wahlkampf zwischen Giscard und Mitterrand nach Pompidous Tod, die Ausgelassenheit und dann die abgrundtiefe Enttäuschung dieses Abends, alle betrunken und jubelnd, alle betrunken und fluchend, aber in Aups lebte auch dein etwa gleichaltriger Freund, der Metzgerssohn, der im Geschäft seines Vaters arbeitete und darauf vorbereitet wurde, es eines Tages zu übernehmen, zugleich aber als leidenschaftlicher und versierter Fotograf in diesem Jahr die Räumung und den Abriss eines kleinen Dorfes dokumentierte, das nach dem Bau eines Staudamms überflutet werden sollte, der Metzgerssohn mit seinen herzzerreißenden Fotos, die Betrunkenen in der Sozialisten/Kommunisten-Bar, aber auch der Zahnarzt in Draguignan, der Mann, den deine Freundin im Zuge einer komplizierten Wurzelbehandlung immer wieder aufsuchen musste, all die vielen Stunden, die sie in seinem Zahnarztstuhl verbrachte, und als das Werk endlich vollbracht war und er ihr die Rechnung präsentierte, belief sie sich auf nicht mehr als dreihundert Franc (sechzig Dollar), eine so niedrige Summe, so wenig angemessen für die Zeit und die Mühe, die er für sie aufgewendet hatte, dass sie ihn fragte, warum er ihr so wenig berechne, worauf er mit einer wegwerfenden
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