Winterjournal (German Edition)
Handbewegung und schüchternem Achselzucken antwortete: «Vergessen Sie’s. Ich war auch einmal jung.»
[ 14 .] 456 Riverside Drive; in der Mitte des langgestreckten Blocks zwischen West 116 th Street und West 119 th Street, Manhattan. Zwei Zimmer mit Mini-Küchenzeile dazwischen im Penthouse Nord oder zehnten Stock eines neunstöckigen Gebäudes mit Blick auf den Hudson.
Penthouse
war in diesem Fall eine trügerische Bezeichnung, da deine Wohnung und das Penthouse Süd daneben kein baulicher Bestandteil des Hauses waren. PHN und PHS lagen in einem separaten, freistehenden, winzigen, weißen Flachbau, der auf das eigentliche Dach gestellt war wie eine Bauernhütte, die unbegreiflicherweise aus irgendeiner Gasse eines mexikanischen Dorfs dorthin versetzt worden war. Alter: 27 bis 29 . Ein sehr beengter Wohnraum, kaum ausreichend für zwei (du warst noch mit deiner Freundin zusammen), doch erschwingliche Wohnungen gab es in New York nur wenige, und nach deiner Rückkehr von dreieinhalb Jahren im Ausland hast du über einen Monat lang eine Bleibe gesucht, irgendwo, irgendwas, und dich glücklich gepriesen, diesen luftigen, wenn auch reichlich kleinen Hochsitz gefunden zu haben. Strahlendes Licht, glänzende Hartholzböden, grimmige Winde vom Hudson her, dazu das einzigartige Geschenk einer großen L-förmigen Dachterrasse, die mindestens so viele Quadratmeter hatte wie die Wohnung. Bei warmem Wetter linderte das Dach deine klaustrophobischen Anwandlungen, und nie wurdest du es müde, von dort die Aussicht in Richtung Fluss zu genießen: die Bäume des Riverside Park, Grants Mausoleum zur Rechten, der Verkehr auf dem Henry Hudson Parkway, vor allem aber der Fluss selbst und das unaufhörliche Schauspiel, das er bot, die zahllosen Schiffe und Segelboote, die seine Wasser befuhren, die Frachter und Schlepper, die Barkassen, Yachten und Kabinenkreuzer, die tägliche Regatta von Handelsschiffen und Vergnügungsdampfern, die den Fluss bevölkerte und in der du bald eine zweite Welt entdecktest, eine Parallelwelt entlang des Streifen Landes, den du bewohntest, eine Stadt aus Wasser unmittelbar an der Stadt aus Stein. Ab und zu ließ sich ein Wanderfalke auf dem Dach nieder, am häufigsten aber besuchten dich Möwen, Krähen und Stare. Eines Nachmittags landete eine Rottaube vor deinem Fenster (lachsfarben mit weißen Sprenkeln), ein verletzter Jungvogel von unerschrockener Neugier und mit seltsamen, rot geränderten Augen, und nachdem du und deine Freundin ihn eine Woche lang gefüttert hattet und er wieder fliegen konnte, kam er regelmäßig aufs Dach eurer Wohnung zurück, monatelang nahezu täglich, so oft, dass deine Freundin ihm schließlich einen Namen gab, Joey, womit Joey der Täuberich den Status eines Haustiers erlangt hatte, eines Gefährten, der unter derselben Adresse lebte wie ihr, bis er im Sommer darauf ein letztes Mal die Flügel ausbreitete und für immer davonflog. Anfangs: Von mittags bis fünf in einem Antiquariat an der East 69 th Street gearbeitet, Gedichte geschrieben, Bücher rezensiert, dich langsam wieder an Amerika gewöhnt, während das Land die Watergate-Affäre und den Sturz Richard Nixons durchlebte, zwei Ereignisse, die es zu einem etwas anderen Amerika machten als dem, das du verlassen hattest. Am 6 . Oktober 1974 , etwa zwei Monate nach eurem Einzug, hast du deine Freundin geheiratet. Es gab eine kleine Feier in eurer Wohnung, dann eine Party, spendiert von einem Freund, der in der Nähe eine viel größere Wohnung hatte. In Anbetracht der zahlreichen Sinnesänderungen, unter denen ihr zwei von Anfang an zu leiden hattet, des ständigen Kommens und Gehens, der Affären mit anderen, der Trennungen und Aussöhnungen, die aufeinander so regelmäßig folgten wie die Jahreszeiten, erscheint dir der Gedanke, dass zu dem Zeitpunkt irgendeiner von euch ans Heiraten denken konnte, als ein Akt aberwitziger Torheit. Zum Allermindesten seid ihr ein enormes Risiko eingegangen, habt darauf gesetzt, dass die Stabilität eurer Freundschaft und eure gemeinsamen Ziele als Schriftsteller aus eurer Ehe etwas anderes machen würden als das, was ihr bis dahin an Gemeinsamkeit kennengelernt hattet, aber ihr habt die Wette verloren, ihr beide habt verloren, weil ihr nur verlieren konntet, und so kam es, dass ihr vier Jahre durchgehalten habt, geheiratet im Oktober 1974 , endgültig Schluss gemacht im November 1978 . Ihr wart beide siebenundzwanzig, als ihr euch ewige Treue schwort, alt genug, es besser zu
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