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Winterjournal (German Edition)

Winterjournal (German Edition)

Titel: Winterjournal (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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Tätigkeit Vertrauen weckt und, wer weiß, womöglich gar Mr. Cleans Berufswahl entscheidend beeinflusst hat.
    15 .  10 .  92 . FENSTER UND VERBRECHEN : Joe, der Fensterputzer, wurde in aller Form beschuldigt, sich mit den 100  Dollar der Protokollantin davongemacht und keine Anrufe entgegengenommen zu haben. Vielleicht hat er das Land verlassen. Theo und Marguerite beschuldigen ihn des Weiteren, ihre Waage im Grunde NICHT REPARIERT zu haben, da sie nach einer Woche bereits wieder den Geist aufgegeben hat. Unter den Mitgliedern wird spekuliert, wie weit man mit 100  Dollar kommen kann. Kann sein, dass wir ihn in Hoboken suchen müssen.
    3 .  12 .  92 . Jenseits der Mauern der 458  Third Street ist es an diesem Abend kalt und feucht, der Winter ist hereingebrochen. Wir beenden die Versammlung in wehmütiger Stimmung. Marguerite erzählt voller Sehnsucht von Zypern. Auf dieser exotischen Insel ist es immer warm und hell, und Kleider trocknen auf dem Balkon in zehn Minuten … Nicht anders verhält es sich mit uns. Es gibt immer einen anderen Ort, wo die Sonne scheint, wo Kleider schnell trocken werden, wo es weder Fensterputzer noch Wartungsarbeiten, noch Unfallversicherungen oder überflutete Keller gibt …
    14 .  1 .  93 . UNFALLVERSICHERUNG : Entscheidung über die Frage, ob für Vertreter der Eigentümergemeinschaft eine Unfallversicherung abgeschlossen werden soll oder nicht. Antwort: Nein. Komme, was da wolle: gebrochene Finger beim Betätigen der Schreibmaschine, Strangulierung durch Telefonschnüre bei einschlägigen Telefonaten, gebrochene Arme, Beine und Köpfe nach erheblichem Weingenuss bei einer Versammlung. Wir werden damit leben müssen, so wie Leute in früheren Zeiten auch. Wir werden es Schicksal nennen. Dadurch sparen wir fünfzig Dollar, und fünfzig Dollar sind fünfzig Dollar sind fünfzig Dollar.
    [ 20 A.] 300  Eighth Avenue, Apartment  1 -I; Brooklyn. Ein Ein-Zimmer-Apartment im Parterre eines sechsstöckigen Wohngebäudes, nach hinten gelegen, mit Aussicht auf einen Luftschacht und eine Backsteinmauer. Größer als das Dienstmädchenzimmer in der rue du Louvre, weniger als halb so groß wie das Loch in der Varick Street, aber mit Toilette und Bad sowie verschiedenen in die Wände eingebauten Küchengeräten: Spüle, Herd, Mini-Kühlschrank, von denen du selten Gebrauch machtest, weil dies dein Arbeitsplatz und kein Wohnraum (oder Esszimmer) war. Ein Schreibtisch, ein Stuhl, ein Metallregal, zwei Schränke; eine von der Decke hängende nackte Glühbirne; eine Klimaanlage in einem der Fenster, die du jeden Morgen als Erstes eingeschaltet hast, um Geräusche aus dem Haus zu überdecken (im Sommer auf KÜHLEN , im Winter auf LÜFTEN ). Eine spartanische Umgebung, ja, aber solange es um deine Arbeit geht, hat die Umgebung noch nie eine Rolle gespielt, denn der einzige Raum, den du bewohnst, wenn du deine Bücher schreibst, ist das Papier vor deiner Nase, und das Zimmer, in dem du sitzt, die verschiedenen Zimmer, in denen du im Lauf dieser mehr als vierzig Jahre gesessen hast, nimmst du praktisch gar nicht wahr, während du den Stift über die Seite deines Notizbuchs bewegst oder das Geschriebene mit der Schreibmaschine auf ein sauberes Blatt Papier überträgst, mit derselben Reiseschreibmaschine, die du seit 1974 , seit deiner Rückkehr aus Frankreich verwendest, einer Olympia, die du einem Freund gebraucht für vierzig Dollar abgekauft hast – ein immer noch funktionstüchtiges Relikt, das vor über einem halben Jahrhundert in einer westdeutschen Fabrik gebaut wurde und zweifellos weit über deinen Tod hinaus funktionstüchtig bleiben wird. Die Zimmernummer deines Apartments schmeichelte dir mit ihrer Symbolik. 1 -I, das Eine Ich, der Einzelne, der sich täglich für sieben oder acht Stunden in diesen Bunker verkriecht, ein stiller Mann, der, abgeschnitten vom Rest der Welt, Tag für Tag an seinem Schreibtisch sitzt, mit nichts anderem im Sinn, als das Innere seines Schädels zu erforschen.
    [ 20 B.] Windham Road; West Townshend, Vermont. Ein zweigeschossiges weißes Holzhaus (circa 1800 ) auf dem Scheitelpunkt eines steil bergauf führenden Feldwegs drei Meilen außerhalb von West Townshend. Juni bis August, 1989 bis 1993 . Für den bescheidenen Betrag von eintausend Dollar pro Monat entkamt ihr der Tropenhitze New Yorks und der Beengtheit eurer zu kleinen Wohnung in dieses Refugium in den Hügeln von Vermont. Tausend Quadratmeter Wiese vor dem Haus, umgrenzt von dichtem Wald,

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