Winterjournal (German Edition)
der sich etliche Meilen weit in die Wildnis erstreckte; Wald auch auf der anderen Seite des Feldwegs; in der Nähe ein kleiner Teich; ein Nebengebäude am Rand des Gartens. Abgesehen von einer Spüle und einem billigen alten Herd in der Küche gab es keinerlei Annehmlichkeiten: keine Waschmaschine, keinen Geschirrspüler, keinen Fernseher, keine Badewanne. Telefon über Gemeinschaftsanschluss; Radioempfang bestenfalls mittelmäßig. Außen frisch gestrichen, ging das Haus innen aus dem Leim: verzogene Fußböden, durchhängende Decken, Scharen von Mäusen in Schränken und Kommoden, scheußliche, wasserfleckige Tapeten in den Schlafzimmern, und kein einziges bequemes Möbelstück – klumpige, durchgelegene Betten; wacklige Stühle; ein kissenloses, schlechtgepolstertes Sofa im Wohnzimmer. Dort wohnte niemand mehr. Die inzwischen verstorbene frühere Besitzerin, eine alte Jungfer ohne direkte Erben, hatte das Haus den Kindern einiger ihrer Freunde vermacht, acht Männern und Frauen, die von Kalifornien bis Florida im ganzen Land verstreut lebten, aber niemand in Vermont, niemand in ganz New England. Sie waren zu weit weg und zu wenig interessiert, etwas an dem Haus zu tun, konnten sich nicht einigen, es zu verkaufen, instand zu setzen oder abzureißen, und überließen die Betreuung des Anwesens einem örtlichen Immobilienmakler. Die letzte Mieterin, eine junge Frau, die auf dem Grundstück Marihuana angebaut und das Zeug, unterstützt von einer Rockergang als Vertriebspersonal, erfolgreich unter die Leute gebracht hatte, sah jetzt einer harten Gefängnisstrafe entgegen. Nach ihrer Verhaftung hatte das Haus ein paar Jahre lang leer gestanden, und als du und deine Frau es im Frühjahr 1989 nach Betrachtung einer einzigen Innenaufnahme des Hauses (wie hübsch) gemietet habt, konntet ihr nicht ahnen, worauf ihr euch da eingelassen hattet. Ja, du hattest dem Makler gesagt, ihr sucht etwas Abgelegenes, ein Wort wie
rustikal
sei nicht dazu angetan, Angst oder Bedenken in euch zu wecken, und ja, man hatte euch gewarnt, das Haus sei nicht in Topzustand, aber keiner von euch hatte damit gerechnet, dass es sich als ein baufälliger Schuppen erweisen würde. Du erinnerst dich an die erste Nacht, die ihr dort verbracht habt, wie du laut darüber nachgedacht hast, ob es möglich sei, einen ganzen Sommer in einer solchen Behausung auszuhalten, aber deine Frau nahm den Schock gelassener hin und meinte, du solltest etwas Geduld aufbringen und erst einmal eine Woche abwarten, ehe du das Weite suchst, vielleicht erweise es sich als viel besser, als du gedacht hättest. Am nächsten Morgen machte sie sich mit Feuereifer an die Arbeit, schrubbte, bleichte und desinfizierte, stieß Fenster auf, um die stickigen Räume zu lüften, rangierte zerrissene Vorhänge und zerschlissene Laken aus, reinigte den geschwärzten Herd, entrümpelte die Zimmer und stellte die Küchenschränke um, fegte, wischte Staub und polierte, und während ihr skandinavisches Blut mit der Rechtschaffenheit und Hingabe ihrer eingewanderten Vorfahren wallte, trugst du deine Notizbücher und die Schreibmaschine durch den Garten in das Nebengebäude, ein hüttenähnliches Bauwerk jüngeren Datums, das die Marihuanafrau und ihre Rockerfreunde demoliert und als Schrotthaufen zurückgelassen hatten, die Möbel kaputt, die Fliegenfenster in Fetzen, die Wände mit Graffiti beschmiert, aussichtslos, nichts mehr zu retten, aber auch du hast dich an die Arbeit gemacht und nach und nach das Chaos aufgeräumt, kaputte Dinge weggeworfen und die rissigen Linoleumböden geputzt, und binnen weniger Tage konntest du an einem grünen Holztisch im vorderen Zimmer Platz nehmen und an deinem Roman weiterarbeiten, und nachdem du dich eingelebt und das Haus, das deine Frau von Schmutz und Unordnung befreit hatte, in Besitz genommen hattest, hast du festgestellt, es gefiel dir dort, was dir anfangs als Bild unrettbarer Verwüstung erschienen war, war in Wirklichkeit nur ein Zustand schläfriger Verwahrlosung, und du konntest mit all dem leben, mit welligen Fußböden und herabsinkenden Zimmerdecken, du konntest lernen, die Mängel des Hauses zu ignorieren, weil es nicht dein Haus war, und vor allem lerntest du mit der Zeit die vielen Vorteile schätzen, die es zu bieten hatte: die Ruhe, das kühle Klima von Vermont (selbst an den wärmsten Tagen war morgens ein Pullover nötig), die Nachmittagsspaziergänge durch den Wald, der Anblick deiner kleinen Tochter, wenn sie nackt im Garten tobte,
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