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Winterkind

Winterkind

Titel: Winterkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Mer
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dem Ärmel, wenn es sein musste.
    Holzspäne waren auch auf dem Fußboden, das nahm sie erst jetzt wahr, trieben um ihre und Lieschens Schuhe im Luftzug. Das Mädchen sah sie auch und schüttelte ungläubig den Kopf.
    „Weiß gar nicht“, murmelte es, „warum es auf einmal so dringlich ist mit dem Riesending. Wir hatten doch sonst auch nie Spiegel im Haus, nur den kleinen vom Herrn zum Rasieren. Und jetzt das da.“ Lieschen schob einen Span mit der Schuhspitze beiseite. Lauter sagte sie: „Wo soll der denn überhaupt hin, gnä’ Frau? Und wie? Der Herr Anton ist sich doch viel zu fein, um Möbelstücke herumzubuckeln. Wie so’n oller Jude ist der. Und Frau Herrman und ich können ihn nicht die Treppe hochschleppen, das wissen Sie doch wohl. Soll er hier stehen bleiben?“
    Der Gedanke stieß Blanka ab, überraschend heftig. Der Spiegel unten in der Halle? Hundert fremde Blicke im Glas, gleichgültig, beiläufig, jeden Tag? Sollte Lieschen vielleicht ihr Häubchen davor richten, den Waschwassereimer unter dem Arm? Schon jetzt hätte sie am liebsten die Pferdedecke zurückgehabt, mit der die Männer ihn gestern zugedeckt hatten.
    „Er kommt in mein Schlafzimmer.“ Sie sagte es sehr entschieden, dabei fühlte sie sich ratlos. Lieschen hatte recht. Der Spiegel war breiter und höher als ein groß gewachsener Mann. Das Glas war daumendick, der Rahmen aus schwerem, schwarzem Holz. Keine von den Frauen im Haus, nicht einmal alle zusammen, hätten ihn auch nur eine Stufe weit nach oben gebracht. Und dass Johann mit anpackte – undenkbar.
    Lieschen machte Anstalten, die Arme vor der Brust zu verschränken, wie eine Mutter, die mit einem verstockten Kind zu reden hat. In der Hälfte der Bewegung besann sie sich eines Besseren und strich nur die Rüschen an ihrer Schürze zurecht, ohne Blanka anzusehen.
    „Wie gesagt, gnä’ Frau. Ich kann das Ding nicht hochschaffen. Karl ist mit den Pferden beschäftigt, und allein schafft er es eh nicht. Herr Anton wird sich nicht dazu herablassen zu helfen, und der Gärtner ist noch den ganzen Winter über drüben bei seiner Mutter in Osterwald. Ich kann’s nicht. Und Sie wohl auch nicht, gnä’ Frau.“
    Dann schien ihr etwas einzufallen. Ihre Miene hellte sich auf, die blonden Brauen zuckten in die Höhe.
    „Aber Willem könnte es bestimmt!“
    Blanka musterte sie irritiert.
    „Willem?“
    Zu ihrem Erstaunen lief Lieschens Gesicht hellrot an.
    „Na, Willem eben … von oben.“ Ihre Wimpern flatterten. Sie sagte nicht „mein Willem“, aber Blanka hörte es trotzdem deutlich. So viel Zuckerguss auf dem einen, kleinen Wort … Da war wohl etwas, was sie übersehen hatte in der letzten Zeit. Etwas, das die Dame des Hauses niemals übersehen durfte. Und eigentlich auch niemals gestatten. Was für eine sonderbare Vorstellung: das plumpe, rundbackige Lieschen, heimlich mit einem Galan im Mondschein hinter dem Waschhaus. Hatte das Mädchen ihn vielleicht sogar in die Keller-küche eingelassen, an irgendeinem Tag, wenn der Herr fort war und die Hausherrin ruhte?
    Blanka wusste, hier musste Einhalt geboten werden. Bevor es zu spät war, und bei den einfachen Mädchen – jetzt fühlte sie selbst verlegene Wärme aufsteigen – bei den einfachen Mädchen war es oft sehr schnell zu spät. Aber sie hatte noch keine Erfahrung mit dieser Art von Problemen. Was sie wusste, was sie ahnte, stammte aus dem Geplauder der älteren Ehefrauen im Ort, den ewig gleichen Beschwerden bei Törtchen und Sherry im Damenzimmer. Und Lieschen hatte ihr großes Geheimnis preisgegeben, um Hilfe anzubieten. Es kam Blanka ungerecht vor, sie deswegen zu bestrafen.
    Sie warf einen schnellen Blick zum Spiegel. Was hätte Sie wohl getan? Aber das Glas schwieg, reflektierte nur stumm ein Stück des Kronleuchters an der Decke.
    Sie entschied sich, setzte ein beruhigendes Lächeln auf.
    „Willem, so … Wir sprechen noch ein andermal länger über Willem, Lieschen, nicht? Aber was meinst du mit: von oben? Arbeitet er in der Hütte?“
    Lieschen knetete jetzt die Schürzenbänderzipfel.
    „Er ist sehr gut erzogen“, sagte sie verteidigend, „und der Herr hält große Stücke auf ihn. Einer seiner Besten, das hat er mehr als einmal gesagt. Willem würde bestimmt helfen, er und ein oder zwei seiner Freunde.“
    Blanka zögerte. Hüttenarbeiter im Herrenhaus? Würden sie auf den Fußboden spucken und die Hände an den Vorhängen abwischen? Vielleicht sogar stinkende Pfeifen rauchen, deren Qualm man womöglich

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