Winterkind
lehnten auf einem Bord aneinander, die eine mit rotem, die andere mit weißem Häubchen; ein großes Holzreh blickte aus bemalten Augen nachdenklich auf den bunten Flickenteppich vor dem Bett. Vielleicht war der Raum etwas zu groß für ein einzelnes Mädchen, er nahm den halben Dachboden ein. Aber es war ein guter Ort, um ein Kind zu sein. Ein guter, friedlicher Ort. Jedenfalls ohne das dazugehörige Kind.
Seufzend ging Sophie zurück zu dem schmalen weißen Kinderbett und zog die Überdecke zurecht, zum vierten Mal, seit sie wieder heraufgekommen war.
„Fräulein Johanna, liegen Sie doch endlich still. Sie sollen sich ausruhen, um wieder gesund zu werden.“
„Aber mir ist langweilig und heiß, Fräulein Sophie! Können wir nicht die Decke ein kleines bisschen wegschieben?“
„Nein“, sagte Sophie bestimmt. „Sie müssen es tüchtig warm haben. Bevor die Köchin heute Abend nach Hause geht, sage ich ihr nochmal, dass Sie Ihnen Lindenblütentee aufkochen soll, für die Nacht. Erkältungen muss man aus dem Körper schwitzen.“
„Damen schwitzen nicht“, protestierte Johanna. Ihr linker Fuß, im wollenen Bettschuh, versuchte sich unter der Decke hervorzustehlen. Energisch schob Sophie ihn wieder zurück.
„Damen vielleicht nicht. Aber Sie sind noch keine Dame, mein Fräulein. Nur ein kleines, freches Mädchen, das nicht hören will.“ Sie seufzte. „Warum können Sie nicht einfach einmal tun, was ich Ihnen sage?“
Johanna maulte, und Sophie wusste, sie war ungerecht. Das Mädchen war nicht schlimmer als andere Kinder in ihrem Alter, meistens folgsam, nur etwas zu aufgeweckt vielleicht. Und etwas zu verwöhnt … Nicht nur das übergroße Kinderzimmer, dachte Sophie, hätte mehr Kinder vertragen können.
„Am besten drei wilde Bengel“, sagte sie laut, „wie bei den Fichtners. Herrgott, wenn ich an den Tumult dort denke …“
„Was?“, fragte Johanna. Sie stützte das Kinn in die Hand und hörte auf, unter dem Federbett zu wühlen. „Welches sind denn die Fichtners? Die in Hameln, mit der verrückten Tante und dem großen Hund? Oh, ich hätte auch so gern einen Hund, Fräulein Sophie!“
Sophie musste lachen. „Ja, das möchte ich sehen! Wie so ein riesiges Tier Sie an der Leine hinter sich herzerrt. Nein, nicht die in Hameln. Das waren die von Trauts. Bei den Fichtners war ich oben in Bremen.“
„Waren Sie nicht auch einmal in Berlin, Fräulein Sophie?“
Johanna sah sie neugierig an. Wahrscheinlich dachte das Mädchen bei Berlin nur an die Wunder der Großstadt. Hotels voller feiner Damen und Herren, vornehme Restaurants, Flanieren Unter den Linden! Ihre eigenen Erinnerungen waren andere. In Berlin hatte sie die Warteschule besucht, ihre Grundausbildung als Kinderfrau gemacht. Wenn sie zurückdachte, waren da keine Hotels oder prächtigen Boulevards. Mietskaserne reihte sich an Mietskaserne, Hinterhof an Hinterhof. Zehn Personen in einem einzigen Zimmer. Die Säuglinge in Zeitungspapier gewickelt. Frauen, die mit dreißig zwölf Kinder geboren hatten, von denen vielleicht vier überlebten. Elend, Düsternis, auch am hellen Tag. Wie lange hatte es gedauert, bis sie nicht mehr nach jedem Besuch vor Ort stundenlang vor Mitleid weinte? Bodenspekulanten hatten die Preise in die Höhe getrieben, damals, vor dem großen Börsenkrach, als jeder von morgens bis abends über Aktien redete und die Straßen mit Gold gepflastert schienen. Nur die Industriearbeiter nicht, die die neuen Preise bezahlen mussten. Die man mit der Polizei verjagte, wenn sie es nicht konnten, und die sich manchmal, wie in die Enge getriebene Tiere, herumwarfen und nach den Polizisten schnappten. Sich Straßenschlachten mit ihnen lieferten, die ganze Stadtviertel widerhallen ließen von rohem Gebrüll und Schmerzensschreien. Wie damals, im Blumenstraßenviertel …
Sie schüttelte den Kopf, verjagte die bösen Erinnerungen an Feuerschein in der Nacht, und für diesmal schien Johanna zu verstehen, dass hier kein weiteres Nachbohren erwünscht war.
„Sie waren wohl schon oft in Stellung, nicht?“, fragte sie nur, als habe es die kurze Stille zwischen ihnen gar nicht gegeben. Sophie ging dankbar darauf ein.
„Nicht so sehr oft.“ Sie dachte kurz nach. „Nein, eigentlich nicht. Himmel, was glauben Sie denn, wie uralt ich schon bin! Meistens waren es eben nur Jungens, und die werden schnell zu groß für eine Gouvernante. Sie bekommen richtige Lehrer, wissen Sie, die ihnen Mathematik und Physik beibringen.“
„Und
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