Winterkind
Blümchentapete.
„Ich weiß nicht recht“, murmelte sie. „Sie sind so tüchtig und auch wirklich sehr frisch und sehr reinlich, und Sie wissen so viel. Und trotzdem sind Sie allein. Die Frau Mama ist … sie ist einfach wunderschön. Und ich, ich bin bloß … Da denke ich mir eben manchmal …“
„Ob Sie wohl einer heiraten wollen wird?“, fragte Sophie behutsam. Die roten Wangen glühten noch heftiger. Johanna nickte. Sophie ließ die Hand auf ihrer Stirn liegen. „Ach, Fräulein Johanna. Was geht nur manchmal in Ihrem Köpfchen vor? Sie sind viel zu jung, um ans Heiraten zu denken. Und wenn es einmal soweit ist, werden Ihre Eltern schon eine gute Partie für Sie finden. Sie kommen aus einem ausgezeichneten Haus. Glauben Sie mir nur. Ich kenne die Welt ganz gut. Auch, wenn ich nur eine Gouvernante bin.“
Sie lächelte, und dann beugte sie sich aus einem Impuls heraus vor über das Bett und flüsterte Johanna ins Ohr:
„Und hübsch - hübsch sind Sie noch dazu. Das ist es doch, was Ihnen eigentlich Sorgen macht, nicht? Vergessen Sie sie nur getrost. Sie sind sogar ein besonders hübsches kleines Mädchen. Wie könnte es auch anders sein? Sie kommen aus einer Familie, deren Frauen berühmt sind für ihre Schönheit. Aber der Buschermann soll Sie holen, wenn Sie jetzt anfangen, sich darauf etwas einzubilden!“
Johanna lachte nicht, wie sie erwartet hatte. Sie runzelte die Stirn, sah seltsam nachdenklich drein. Etwas schien ihr durch den Sinn zu gehen – etwas, mit dem sie nicht herausrücken wollte. Als sie den Mund öffnete, sagte sie nur:
„Fräulein Sophie, bleiben Sie noch ein bisschen bei mir? Bis ich eingeschlafen bin?“
Es klang kleinlaut. Sophie musterte sie verwundert.
„Nanu? Sind Sie aus dem Alter nicht eigentlich heraus?“
Johanna kuschelte sich unter dem Federbett zurecht.
„Ich habe so schlecht geträumt in der Nacht“, murmelte sie ins Kissen. „Ganz, ganz scheußlich schlecht. Bitte, Fräulein Sophie. Nur dieses eine Mal.“
„Wenn man im Schnee herumtobt und sich davon erkältet, darf man sich über schlechten Schlaf nicht wundern.“ Sophie seufzte und zupfte die Decken zurecht. „Wollen Sie mir davon erzählen?“
„Ach …“ Johanna krauste die Nase, wie immer, wenn sie unsicher war.
„Kommen Sie. Sie werden sich dann besser fühlen.“
„Da – da waren schwarze Flügel, ich hörte sie immer hinter mir. Sie wollten mir was Schlechtes tun. Ich bin gerannt und gerannt, aber da waren überall Gänge, und die Wände aus solchem grauen Stein …“
Ach, Kind, dachte Sophie mitleidig, dir sitzt die Beerdigung noch in den Knochen.
Sie strich Johanna über die Wange.
„Es ist schon gut, Sie Fratz, denken Sie nicht mehr daran. Ich bleibe bei Ihnen. Ich habe ja auch sonst rein gar nichts zu tun.“
Johanna blinzelte ihr dankbar zu. Dann senkten die dichten schwarzen Wimpern sich langsam. Sophie setzte sich auf der Bettkante zurecht, so gut es ging. Das harte Eisengestell drückte durch ihre Röcke hindurch. Es würde ein langer Tag werden.
In der Halle schlug Lieschen bestürzt die Hände vor der Brust zusammen.
„Aber gnä’ Frau, was machen Sie denn da bloß!“
Blanka ließ das zweite Brett fallen. Sie atmete schwer, die Rippen des Korsetts schnitten in ihre Seiten, der enge Blusenkragen kratzte an ihrer Kehle. Und doch kam ihr alles so unwirklich vor. Hatte sie eben tatsächlich diese Bretter allein herausgerissen, ohne Werkzeug, ohne Hilfe? Es musste so sein, da lagen sie auf dem blank polierten Kachelboden, und ihre weißen Handschuhe waren staubig. Lieschen starrte sie groß an.
„Gnä’ Frau hätten doch besser warten solln, bis der Herr zurück ist!“
„Ja, ich weiß schon.“ Blanka sagte es nur, um überhaupt irgendetwas zu sagen. „Ich weiß, Lieschen, aber … Es sah so aus, als ginge es ganz leicht, mit den herausgebrochenen Stücken. Da wollte ich wohl …“
Ihr Blick wurde zurückgezogen, immer wieder. Gut ein Drittel des Spiegels war jetzt sichtbar. Rankenartige Verzierungen und glatte, seltsam farblose Edelsteine glänzten auf dem schwarzen Rahmenholz. Wie steingewordene Tropfen – Tropfen von Erinnerungen, verblasst, verschlossen … Die Holzspäne, mit denen der Kasten ausgepolstert war, hatten Staubschlieren auf dem Glas hinterlassen. Es schimmerte schwach, grausilbrig, und das Licht, das sich dort fing, wurde ganz weich und verhalten zurückgegeben. Blanka unterdrückte mühsam den Impuls, den Spiegel sofort abzuwischen, mit
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