Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Winterkind

Winterkind

Titel: Winterkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Mer
Vom Netzwerk:
einer fremden Miene zeigte. Aber das waren wieder Gedanken, die man nicht gegenüber der Herrschaft äußerte.
    Inzwischen spürte sie sie auch, die Wärme, die aus den Hüttengebäuden kam. Ein leichter, angenehmer Hauch in der Winterkälte. Aber die Geräusche fingen an, sich in ihren Kopf zu bohren. Das hohe Fauchen vor allem, es war wie ein scharfer Wind, der nicht nachließ.
    Als sie den Vorplatz erreichte, öffnete sich gerade ein großes Tor in der Halle, und das Fauchen traf sie mit voller Wucht. Er blies ihr entgegen, trockener, fiebriger Atem eines riesigen Organismus, der jetzt einen Karren ausspuckte, ein altes graues Pferd davor und ein paar Männergestalten. Sophie blieb stehen, versuchte ein Winken, das ihr viel schüchterner geriet als sonst.
    „Guten Tag? Verzeihen Sie, ich …“
    Niemand achtete auf sie. Die Arbeiter zogen Planen auf dem Karren fest. Das Pferd stand mit gesenktem Kopf da. Hörten sie sie überhaupt in dem Lärm?
    „Ich suche Willem!“, rief sie. Einer der Männer hob den Kopf, sah sie ausdruckslos an und deutete mit dem Daumen über die Schulter, dorthin, wo das Tor immer noch offen stand.
    „Danke sehr!“, brüllte sie wie ein Fischweib gegen den Krach an, aber der Arbeiter schien sich gar nicht dafür zu interessieren. Er wandte sich schon ab, bevor das Wort ganz heraus war. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als allein an den Männern vorbei auf das Tor zuzugehen. Inzwischen kam nicht mehr nur Lärm heraus. Ein beißender, fauliger Geruch hatte sich mit nach draußen geschlichen. Er fuhr ihr scharf in die Nase, ihre Augen fingen an zu tränen. Sie holte das Spitzentaschentuch heraus, tupfte und wischte und stolperte trotzdem bald halb blind auf das Tor zu. Mit jedem Schritt wurde es schlimmer.
    Als sie endlich unter den mächtigen Torbogen trat, erkannte sie kaum noch etwas. Durch einen Nebel aus Schlieren und Tränen sah sie verwirrende Aufbauten, mehrere Ebenen in seltsamen Winkeln zueinander; Stahlgestelle, Plattformen, Gitterstege. Drei riesenhafte Gebilde beherrschten das Durcheinander, sie waren wie massige, geschlossene Gewölbe, wie Räume im Raum, aus Stein vielleicht oder aus Ton. Die furchtbare Hitze ging von ihnen aus. Jetzt öffnete sich in dem ganz rechts eine Klappe, stinkender Dampf stieg zischend auf, und Sophie starrte mitten hinein in brodelnde, böse leuchtende Glut, einen Höllenteich, der im Innern brannte. Sie riss die Augen auf, unwillkürlich, und der heiße Nebel stach wie mit Messern hinein.
    „Ich suche … Willem …“, krächzte sie und taumelte orientierungslos ein paar Schritte in die Halle hinein. Hitze, Lärm und Gestank strömten durch ihren Körper. Sie presste das Taschentuch an die Augen, streckte den anderen Arm tastend aus. Plötzlich fühlte sie sich hart an der Hand gepackt.
    „Frollein“, schrie eine Stimme aus dem Dampf, „ein Schmelzofen ist nichts zum Streicheln!“
    Der Griff lockerte sich wieder, sie schaffte es, die Augen wenigstens einen Spalt weit zu öffnen; und ein Männergesicht, rußig, mit abstrus blonden Brauen darin, beugte sich ihr entgegen.
    „Ich … suche … Willem“, murmelte sie schwach.
    „Watt?“, schrie er zurück.
    Sie riss sich zusammen und brüllte:
    „Willem!“
    „Ja?“
    Sophie verstand erst nicht. Der Mann lächelte, die Zähne unglaublich weiß in dem Dreck, und zeigte auf sich.
    „Willem!“
    „Oh“, stammelte Sophie, hustete. „Oh. Wir – es ist …“
    Aber der Arbeiter Willem schüttelte den Kopf und deutete auf das Tor.
    „Draußen!“

    Sie war noch nie so dankbar für frische Luft gewesen. Willem nahm die Mütze ab und wischte sich mit dem Ärmel übers Gesicht, während sie an ihren Augen herumtupfte und ganz nebenbei bemerkte, wie ebenmäßig die Züge waren, die unter dem Schmutz zum Vorschein kamen.
    „Kein guter Zeitpunkt, um in die Hütte zu kommen, Frollein“, sagte er und winkte dem Karren nach, der eben vom Vorplatz rumpelte. Hinter ihnen wurde das große Tor polternd geschlossen. „Es gibt einen Pförtner in dem kleinen Anbau da, wissen Sie das nicht? In Wanne Zwo hat gerade die Läuterung angefangen. Das macht natürlich mächtig Gestank.“
    Es klang stolz.
    Sophie runzelte irritiert die Stirn.
    „Was? Welche Wanne? Läuterung?“
    Er lachte, die Zähne selbst ohne den rußigen Kontrast blendend weiß und regelmäßig.
    „Ach je, die Herrschaften und ihr Personal! Wanne Zwo, wir haben drei Stück davon. Drei Schmelzwannen. Für das Glas, Frollein. Drei

Weitere Kostenlose Bücher