Winterkind
Pasten auf und Cremes aus kostbaren und gefährlichen Essenzen, strich sich Bleiweiß auf die Wangen, biss sich die Lippen rot. Wenn das Kind dann beim Spielen zu ihren Füßen zu laut jauchzte, konnte sie es kaum ertragen. Es kam vor, dass sie das Mädchen anfuhr, einmal packte sie es am Arm und schüttelte es, bis es anfing zu weinen und ihr selbst Reuetränen in die Augen schossen. Aber sie brachte es nicht fertig, das Kind den ganzen Tag dem Kinderfräulein zu überlassen. Die Einsamkeit im Turmzimmer hätte sie erstickt, wenn sie keinen Grund fand, irgendwo anders zu sein. Irgendwann lernte es, still zu sein. Und wenn sie dann beide vor dem Spiegel dieselben Bewegungen ausführten, dann fühlte sie sie wieder, die Nähe, die Vertrautheit. Die anderswo mehr und mehr verloren ging.
Fremde Frauenschatten hielten Einzug im Schloss, unhörbar, unsichtbar, und sie konnte sie nicht aufhalten. Sie kamen in den leeren Stellen der Geschichten, die ihr Mann von seinen Reisen erzählte, in den Löchern des feinen, amüsanten Garns, dass er für seine Frau zu Hause spann. Sie lauschte, sie nickte an den richtigen Stellen, sie pflichtete ihm bei, wenn es angebracht war, und lachte, wenn er Scherze einflocht. Was konnte sie anderes tun?
Mehr Kleider mussten her, kostbarere, gewagtere Kleider. Die Mode wechselte mit den Jahren langsam, ein neuer engerer Schnitt kam auf, der ihre schlanke Figur betonte. Sie kämpfte stumm, wortlos, aber mit allen Mitteln, die ihr zur Verfügung standen.
Irgendwann, als das kleine Mädchen vier oder fünf Jahre alt war, schien es allmählich, als hätte sie Erfolg. Er kam häufiger heim und fuhr später wieder fort, und die Tage, die er im Schloss verbrachte, dehnten sich unmerklich weiter aus, jedes Mal ein wenig. Sie fühlte Hoffnung in sich flattern. Aber sie zeigte es nicht. Umsorgte ihn nur mit noch mehr Aufmerksamkeit, verbrachte ganze Nächte im Ratschlag mit dem stummen Spiegel. Sah er sie allmählich wieder so an, wie er sie früher angesehen hatte? Sie glaubte es; eine ganze Weile glaubte sie es.
Drei
Als Sophie am nächsten Morgen ins Kinderzimmer kam, war das kleine Eisenbett leer bis auf zerwühlte Laken. Die Puppen und das Holzreh schauten unschuldig zu ihr auf und schwiegen, und schon während sie ihr „Fräulein Johanna?“ fragte, wusste sie, dass auch darauf niemand antworten würde. Der Fratz war ausgekniffen.
Sie machte sich nicht die Mühe, hinter dem niedrigen Paravent zu suchen, der den Waschtisch verdeckte, sondern drehte auf dem Absatz um und stieg die Bodentreppe wieder hinunter. Das erste Versteck, der mächtige Wäscheschrank auf dem Flur vor den Schlafzimmern, kam nicht in Frage, die Tür war fest geschlossen. Johanna schaffte es nie, sie ganz zuzuziehen, weil sie sich dann im Dunkeln zwischen den Fächern fürchtete. Vielleicht war sie inzwischen auch zu groß dafür geworden. Mit Sicherheit passte sie jedenfalls nicht mehr in die niedrige Aussteuertruhe der Frau von Rapp, die danebenstand und ebenfalls Wäsche enthielt. Es ging die kleine Geschichte um im Haus, dass Herr von Rapp sie seiner Frau erst nach der Hochzeit gekauft hatte … Sophie wusste nicht recht, was sie davon halten sollte. Vor allem ging es sie nichts an. Das kleine Köfferchen unter dem Bett und die Freiheit, es jederzeit packen zu können – sie nützten einem nur, wenn man sich nicht zu sehr mit den Familien einließ, die man doch eines Tages wieder verlassen musste. Und sie hing schon mehr als genug an der zarten, freundlichen Blanka von Rapp, an ihrem gutmütigen Ehemann – und leider auch an dem verzogenen Töchterchen.
Von unten kamen nur wenige Geräusche: das vertraute morgendliche Klirren aus dem Frühstückszimmer, in dem Lieschen den Tisch zu decken versuchte, ein gedämpftes Schimpfen aus der Küche, wo Frau Herrman mit dem Spülmädchen zankte. Aber als Sophie auf dem Treppenabsatz war, flog etwas zu ihr empor wie ein hoher, kurzer, halb erstickter Schrei. Sie stolperte beinahe über die letzten Stufen.
In der Halle sah sie Johanna von dem Spiegel zurückzucken, als habe sie sich verbrannt. Der Zipfel des weißen Tuchs, den sie beiseitegezogen hatte, fiel lautlos zurück gegen das Glas. Das Federbett, um ihre schmale Gestalt geschlungen wie eine viel zu dicke Toga, rutschte ihr herunter. Sie bemühte sich, es wieder aufzusammeln, während sie ängstlich zu Sophie nach oben starrte.
„Ich habe nichts kaputt gemacht, wirklich nicht!“
Ihre Füße waren nackt. Unter der
Weitere Kostenlose Bücher