Winterkinder: Drei Generationen Liebe und Krieg (German Edition)
und es kamen auch keine«, schrieb mein Vater später. »Wir hatten beide zu viel durchgemacht und waren zu oft enttäuscht worden.«
In Milas Stimme war ein Hauch Distanz und Traurigkeit zu spüren. Abgesehen von all den bürokratischen Hindernissen, die noch zu überwinden waren, würde sie ihre Familie, ihre Freunde, ihre Heimat verlassen müssen, ohne Aussicht darauf, je wieder zurückkehren und sie besuchen zu dürfen. Sie würde bald unwiderruflich von allem getrennt werden, was sie kannte und liebte – außer Mervyn, der ein fast mythisches Wesen für sie geworden war.
»Merwusik, mein Liebster«, schrieb Mila am folgenden Tag, als die Nachricht von Brookes Freilassung in den Landeszeitungen publik gemacht wurde. »Heute ist der 25., Dein Geburtstag. Ich gratuliere Dir von ganzem Herzen und wünsche Dir Gesundheit, Erfolg bei der Arbeit und Glück. Und ich liebe Dich sehr. Ich bin ganz verwirrt. Victor Louis hat gleich am Morgen nach mir gesucht. Ich habe nichts gesagt, aber die werden sich ohnehin was ausdenken. Er wollte, dass ich etwas für seine Leser sage. Vielleicht hätte ich das tun sollen, aber ich habe mich geweigert. Er gab irgendwelche Banalitäten von sich über unseren Mut, dass wir Helden sind und welches Glück wir haben. Dann rief Lena an, die gerade Urlaub im Baltikum macht. Waleri [Golowister] und meine Freundin Rima sind vorbeigekommen. Journalisten vom Daily Express haben angerufen, aber die habe ich auch abgewimmelt. Freunde haben angerufen und mir gratuliert, sie sind alle völlig überwältigt … Ich kann kaum noch stehen.«
Mervyns Mutter schrieb, um zu gratulieren. Das Telefon in der Wohnung in Pimlico klingelte unaufhörlich. Journalisten standen vor der Tür. Des Zwar schickte ein Telegramm. Einige Tage später erhielt Mervyn einen Brief vom Finanzamt, auf den ein Unbekannter geschrieben hatte: »Ich freue mich über die gute Neuigkeit von gestern.«
Derek und Mervyn trafen sich im Albert, um die Einzelheiten zu besprechen. Das sowjetische Konsulat stellte sich bis zuletzt quer und behauptete, die Visa würden erst im Oktober ausgestellt werden. Sie könnten ihre Verlobten sehen und im Hochzeitspalast einen Termin vereinbaren. Dann müssten sie das Land wieder verlassen, behauptete der Beamte, und könnten einen Monat später wieder nach Russland einreisen, nach Ablauf der vorgeschriebenen Frist, wenn die Zeremonie anstand. Wie sich herausstellte, war das nicht wahr – der mürrische Vizekonsul nahm nur auf seine eigene Weise Rache an den jungen Männern, die irgendwie das System geschlagen hatten.
Derek unterzeichnete eine Abmachung mit dem Daily Express . Die Zeitung zahlte ihm im Gegenzug für ein Exklusivinterview die Flugtickets und das Hotel. Mein Vater zog es vor, selbst zu zahlen und so öffentliche Aufmerksamkeit zu vermeiden, nun, da er sie nicht mehr brauchte. »Jeder ist gern berühmt, aber mein eigenes Bild in der Öffentlichkeit, soweit ich eines hatte, war zu sehr gefärbt durch Unglück und Versagen. Ich erschien eher als Opfer denn als Held«, schrieb er in seinen Memoiren. Mervyn hoffte außerdem, mit seinem Buch seine akademische Laufbahn neu beginnen und vielleicht wieder an »eine von [Englands] zwei ehrwürdigen Universitäten zurückkehren zu können«. Dem würde Bekanntheit in den Medien nur schaden.
Die Krogers sollten am 28. Oktober 1969 um 11.15 Uhr Heathrow Richtung Sowjetunion verlassen. Mervyn erfuhr später, dass ihre Entlassung eine patriotische Demonstration im Gefängnis Parkhurst provoziert hatte: Die Gefangenen schlugen rhythmisch mit ihren Blechtellern, als Protest gegen die vorzeitige Entlassung der Spione.
Derek und mein Vater gingen noch am selben Morgen ins sowjetische Konsulat, um ihre Visa abzuholen. Der sowjetische Vizekonsul setzte ein breites offizielles Lächeln auf, wies sie an zu warten und verschwand. Während sie nervös warteten, fand Mervyn eine Erklärung für die Verzögerung – die Beamten warteten wahrscheinlich ab, bis das Flugzeug der Krogers den britischen Luftraum verlassen hatte.
Irgendwann kehrte der Konsul mit den vertrauten blauen Visa zurück. Sie waren lediglich zehn Tage gültig, und Derek protestierte, das sei zu kurz. »Zehn Tage reichen, um zu heiraten und sich scheiden zu lassen«, sagte der Konsul und lachte.
Weit nach Mitternacht kamen sie am praktisch verlassenen Flughafen Wnukowo in Moskau an und nahmen ein Taxi in die Stadt. Sie hielten vor dem Doppelbogen von Milas Wohnblock in der
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