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Winterkinder: Drei Generationen Liebe und Krieg (German Edition)

Winterkinder: Drei Generationen Liebe und Krieg (German Edition)

Titel: Winterkinder: Drei Generationen Liebe und Krieg (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Owen Matthews
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kennenzulernen. Trotz allem, was geschehen war, hatte er immer noch die verrückte Vorstellung, er könne sich ihm stellen und gewinnen, trotz der weisen Ratschläge seiner Mentoren und der Verwünschungen seiner Mutter. Mervyn stand vor der Entscheidung, etwas Zartem und Schönem und wahrscheinlich Unmöglichem nachzulaufen – oder sich mit etwas Gewöhnlichem und Banalem abzufinden. Er entschied sich für das Außergewöhnliche. In jener Entscheidung liegt ein Augenblick großen Mutes, der hell genug strahlt, um ein ganzes Leben zu erleuchten.
    Auch Lenina zeigte ihren Mut in einem kleinen, aber lebensbejahenden Akt der Tapferkeit. Sie schrieb Mervyn und versicherte ihm, dass sie ihren Kampf, heiraten zu können, unterstützen würde. »Mila ist mein erstes Kind, und ich liebe sie sehr, vor allem jetzt«, schrieb Lenina. »Ich denke an nichts als an eure Sache, wo ich auch bin. Wir alle lieben Dich. Du gehörst zur Familie. Eine andere an meiner Stelle hätte Dich nicht geliebt und Dich als Dieb betrachtet, der am helllichten Tage ein Stück aus meinem Herzen gerissen hat. Doch ich will, dass Mila glücklich ist und geliebt wird, und deshalb liebe ich Dich auch, so schwierig Du auch manchmal bist.« Leninas Tochter Nadja schrieb auch, dass sie hoffe, Mervyn sei rechtzeitig zum Winter und zur Pilzzeit wieder zurück.

    Mitte August unternahm Mervyn einen weiteren Versuch, einen sowjetischen Regierungschef anzusprechen und ihm einen Brief über seine Notlage zu überreichen. Er flog nach Bonn und versuchte dort, Chruschtschows Schwiegersohn Alexei Adschubei zu treffen. Da ihn der Medienrummel in Stockholm nicht weitergebracht hatte, beschloss er diesmal, sich Adschubei so unauffällig wie möglich zu nähern. Über einen Freund vom College nahm er Kontakt zu Carola Stern auf, einer westdeutschen Publizistin mit guten Beziehungen, die Mervyn genau über Adschubeis Aufenthaltsorte informierte und ihm eine Einladung zu einem privaten Empfang besorgte, an dem er teilnehmen sollte.
    Mervyn in seinem besten Anzug schob sich durch den überfüllten Salon. Adschubei war umringt von deutschen Geschäftsleuten, die alle eifrig diskutierten, wie sie den sowjetischen Markt erschließen könnten. Es waren fast keine Sicherheitsleute da. Mervyn schüttelte Adschubei die Hand und gab ihm einen Brief. Adschubei wirkte ein bisschen peinlich berührt, nickte Mervyn kurz zu und reichte den Brief kommentarlos an einen seiner Berater weiter. Dann wandte er sich wieder den Geschäftsleuten zu. Mein Vater ging sofort und kehrte noch am selben Abend nach London zurück. Es war keine vielversprechende Begegnung gewesen.
    »Mein einziger Trost – und ich hoffe, auch der Deine – sind das Verständnis und das Mitleid aller, die von unserer unglücklichen Geschichte wissen«, schrieb er Mila nach seiner Rückkehr, ohne seine gescheiterte Reise zu erwähnen. »Letztlich bin ich sicher, dass das Böse, das geschehen ist, rückgängig gemacht wird. Ich unternehme viele Schritte, um unser gemeinsames Glück zu ermöglichen.«

    Auf Bill Deakins Drängen hin rief Mervyn einen Herrn Battersby vom MI5 an. Sie führten ein ergebnisloses Gespräch. Das Einzige, was Battersby offenbarte, war, dass sein Kollege Sewell in Moskau keinerlei Beweise hatte, als er Mervyn sagte, seine Verlobte sei vom KGB beauftragt; es sei nur eine »vorsorgliche Annahme« gewesen. Was den britischen Amtsapparat anging, so war die Angelegenheit damit erledigt.
    Einige Wochen später, Anfang September, sandte der MI5 einen Beamten nach Oxford, der Mervyn persönlich befragen sollte. McCaul war ein dicker und sehr bedächtiger Mann mittleren Alters mit dem Auftreten eines Feldwebels. Er fuhr Mervyn zum Abendessen hinaus in das Bear in Woodstock und ging dort mit ihm die Einzelheiten seines früheren Berichts durch, um zu sehen, ob irgendetwas vergessen worden war. McCaul sprach von Alexei und Alexandr Sokolow als »deine Freunde« und »dieses Paar«.
    »Uns hat in deinem Bericht die Formulierung ›nutzten eine Aura der Freundschaft zu Rekrutierungszwecken‹ gefallen«, sagte McCaul zu meinem Vater. »Wir haben sie in einem unserer Texte verwendet.« Er ging nicht näher darauf ein, zu welchem Werk der MI5-Literatur Mervyn unwissentlich beigetragen hatte. Einige Tage später schickte McCaul Mervyn zwei Fotos und fragte, ob er die Personen darauf identifizieren könne. Der eine war ein russischer Forschungsstudent, der zwei Jahre zuvor am St Anthony’s College gewesen

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