Winterkrieger
kalte Wind tat gut. Der Wind war auch damals in Mellicane kalt gewesen. Damals war es Winter gewesen, ein harter, rauer Winter. Die Flüsse waren zugefroren, und niemand hatte erwartet dass eine Armee durch die tobenden Schneestürme marschieren würde. Doch die Drenai hatten es getan, hatten Berge und eisige Seen überquert. Sie hatten die ventrische Armee bei Mellicane überrascht. Dort habe ich meine Medaille bekommen, erinnerte er sich. Die Medaille, die er für eine Nacht mit einer dicken Hure verkauft hatte.
Sie war aber auch eine gute Hure gewesen, wie er sich erinnerte.
Er setzte sich mit dem Rücken gegen die Felswand. Eine große Welle von Müdigkeit legte sich über ihn wie eine warme Decke. Schlaf, das war es, was er brauchte. Heilsamen Schlaf. Wenn er aufwachte, würde die Wunde schon heilen. Diese Priesterin, die kann mich heilen. Ein paar Tage Ruhe, und er war wieder so gut wie neu. Wo ist Nogusta? Warum hat er mich hier allein gelassen?
Das Baby schrie. Bison dachte, es wäre das beste, es in die Arme zu nehmen, doch er schien nicht mehr die Kraft dafür zu haben. Sufia kreischte auf und deutete nach hinten. Die beiden Krayakin kamen in Sicht Sie gingen hintereinander über den schmalen Pfad.
Bison drehte sich um, klammerte sich an den Felsen und zog sich hoch. So soll es also enden, dachte er. Und diesmal spürte er keine Angst. Er sah Sufia an. Das Kind war völlig verängstigt Bison zwang sich zu einem Lächeln. »Mach dir keine Sorgen … Kleine«, sagte er. »Niemand wird … dir etwas tun. Du musst nur … auf den kleinen Prinzen … aufpassen, bis … Nogusta kommt.«
»Was willst du tun?« fragte sie.
Die Krayakin waren näher gekommen. Der Pfad hatte sich verbreitert und sie gingen nebeneinander.
Bison stieß sich von der Felswand ab und stellte sich ihnen in den Weg.
»Wusstet ihr«, sagte er zu ihnen, »dass ich Flügel habe? Große weiße Flügel? Ich fliege … über die Berge.«
Plötzlich warf er sich auf sie, mit weit ausgebreiteten Armen. Die Krayakin konnten nirgendwohin ausweichen. In ihrer Verzweiflung stachen sie auf ihn ein, stießen ihre Klingen in seine Brust. Mit einem letzten verzweifelten Satz warf er sein Gewicht nach vorn, in das kalte Metall, das sich in sein Herz bohrte. Sterbend umklammerte er mit seinen gewaltigen Armen ihre Rüstungen und stieß sie über den Rand.
Sufia sah auf und sah sie in einer Spirale abstürzen, tiefer und tiefer, Bison mit ausgestreckten Armen, bis sie in die weißen, zarten Wolken fielen.
Antikas Karios war gerade rechtzeitig gekommen, um sie abstürzen zu sehen. Er lief zu Sufia und kniete neben ihr nieder.
»Er hat seine Flügel wieder«, sagte sie, die Augen groß vor Staunen. »Große, weiße Flügel.«
Die kleine Sufia schlang ihre Arme um Antikas Karios’ Hals. Instinktiv schlossen sich seine Arme um sie. Dann sah er auf das Baby hinunter. Das war die Quelle all ihrer Probleme, dieses kleine Bündel aus Fleisch, weichen Knochen und Gewebe. Es weinte noch immer, dünne Schreie hallten von den Felsen wider. Es wäre so einfach, dieses Geräusch abzuwürgen. Der Hals des Säuglings war so schmal, dass Antikas ihm das Leben abzudrücken vermochte, wenn er nur mit Daumen und Zeigefinger presste.
Die Welt wäre sicher vor den Dämonen. Seine Hand senkte sich. Als seine Finger den Hals des Kleinen berührten, drehte dieser sich mit offenem Mund danach um und versuchte zu saugen. »Ich muss auf das Baby aufpassen«, flüsterte ihm Sufia ins Ohr.
»Was?«
»Das hat Bison zu mir gesagt, ehe er davonflog.«
Er überlegte, was er tun sollte. Wenn er das Baby tötete, dann musste er auch Sufia töten. Er konnte sie beide über den Rand werfen und dann sagen, er wäre zu spät gekommen, um ihnen zu helfen. Seine Gedanken wanderten zu Bison. Der groteske alte Mann war fast einen Kilometer weit gerannt mit einer Wunde, die ihn eigentlich auf der Stelle hätte töten müssen. Dann hatte er noch zwei Krayakin mit in den Tod gerissen. Er hatte einen ungeheuren Mut bewiesen, und in diesem Augenblick erkannte Antikas, wenn er jetzt das Kind tötete, würde das die Erinnerung an Bisons Tat besudeln. Er nahm Sufia und das Baby auf den Arm und ging über den Saumpfad zurück und den Abhang hinunter zum Lager. Kebra und die Königin waren noch immer bewusstlos, Conalin und Pharis saßen Hand in Hand am Feuer. Das Mädchen sah auf, als Antikas ins Lager wanderte. Auf ihrem hageren Gesicht zeigte sich ein strahlendes Lächeln. Sie sprang
Weitere Kostenlose Bücher