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Winterland

Winterland

Titel: Winterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Åke Edwardson
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gegangen war. Einmal meinte ich, irgendwo ein Rufen oder einen Schrei gehört zu haben. Auf der Straße draußen hörte ich ein Auto. Nach dieser Nacht sollte in diesem Ort nichts mehr so sein wie früher. Aber das wusste ich zu dem Zeitpunkt natürlich noch nicht.
    Ich erfuhr es, als wir frühstückten. Mitten in dem hysterischen Vogelgezwitscher, das durch das offene Küchenfenster drang, klingelte das Telefon. Meine Mutter ging ran und sagte: »Er sitzt hier.« Sie reichte mir den Telefonhörer, ehe ich noch mein Brot fertig schmieren konnte.
    »Ich bin’s leider«, sagte mein Vorgesetzter.
    »Sollte ich nicht alles schön ruhig angehen lassen? Wenn ich mich recht entsinne, war es das, was Sie zu mir gesagt haben.«
    »Sie haben also noch nichts gehört?«
    »Was gehört?«, fragte ich und blickte auf mein Brot, das auf seinen Belag wartete.
    »Von dem Mord heute Nacht. In Ihrem Dorf, Andreas.«
    »Jesus«, war das Einzige, was ich vorbringen konnte.
    »Es sind Leute unterwegs«, sagte er, »von der örtlichen Kripo. Sie haben immer noch frei. Aber ich wollte, dass Sie es gleich erfahren.«
    »Ich komme ja schließlich von hier«, sagte ich. »Das könnte eine Hilfe sein.«
    »Lassen Sie die Kollegen die Sache machen«, sagte er. »Das ist nicht unser Fall.«
     
    Die Sonne stand bereits hoch. Ein scharfes Licht fiel auf das Feld. Es wirkte fast unwirklich und irgendwie unpassend, als es auf die Körper der beiden Jugendlichen traf. Und es traf auch auf mich, der ich vor ihnen stand. Ich sprach mit dem Gerichtsmediziner, den ich nicht kannte. Ich kannte auch die Polizisten nicht, die die Umgebung absperrten, und auch nicht die Kripoleute, die hier zuständig waren. Die Einzigen, die ich kannte oder gekannt hatte, waren die Menschen, die auf der anderen Seite der Absperrung standen und auf die Bühne starrten, wo sich das Unfassbare abgespielt hatte.
    Mein Kollege von der Kripo begrüßte mich höflich, und ich konnte ihm ansehen, dass er mich zum Teufel wünschte. Mir wäre es an seiner Stelle genauso gegangen. Er hieß Birgersson.
    »Totgeschlagen wie zwei Seehunde«, sagte er und machte eine Kopfbewegung zu den Leichen hin.
    »Wissen Sie, wer es ist?«
    »Wir sind hier nicht in Los Angeles«, brummte Birgersson und hielt sich die Hand vors Gesicht, um sich vor der brennenden Sonne zu schützen. »Auch wenn man das fast denken könnte.« Er sah zu den Zuschauern hinüber. »Hier kennt jeder jeden.«
    »Wer ist es denn?«, sagte ich und meinte die Opfer.
    »Ein Junge und ein Mädchen, beide fünfzehn Jahre alt«, sagte er und nannte mir dann ihre Namen. Ich dachte an die Namen und an ein paar Gesichter, die es dazu in meinem Gedächtnis gab.
    »Ich glaube, ich kenne die Eltern«, sagte ich.
    »Ich habe gehört, Sie haben Urlaub«, meinte er.
    Ich nickte.
    »Wir sollten uns hier nicht in die Quere kommen«, sagte er.
     
    Die Tür zur Kirche stand offen. Drinnen war es kühl und still. Ich bog nach rechts ab und sah Jacob in seinem Arbeitszimmer stehen, den Blick zum Fenster gerichtet. Als ich kam, wandte er sich um.
    »Du hast es wahrscheinlich schon gehört«, sagte er.
    »Ja.«
    »Das ist wahrscheinlich alles nur, damit sich der Kommissar wie zu Hause fühlt«, sagte er und sah mich an. »Entschuldige, Andreas. Ich hab es nicht so gemeint.« Er strich sich mit der rechten Hand übers Gesicht. »Es ist nur … Ich kannte das Mädchen so gut.« Er schaute mich mit Tränen in den Augen an. »Sie war Mitglied der Gemeinde. Ihre Eltern ebenso.«
    »Ich weiß.«
    »Großer Gott«, sagte er.
    Wir waren in dieselbe Klasse gegangen. Stig und Lena, die Eltern des Mädchens, und Jacob und ich. Die Eltern des Jungen hießen Bengt und Kerstin und waren in andere Klassen gegangen, aber in dieselbe Schule. Bengt war ein Jahr jünger als ich, Kerstin vier. Sie gehörten nicht der Pfingstgemeinde an.
    Der Junge hieß Jonas, das Mädchen Helena.
    »Kannten sie einander gut?«, fragte ich.
    Ich ging davon aus, dass sie sich zumindest oberflächlich gekannt hatten. Hier kannte jeder jeden.
    »Wer denn?«, fragte er.
    »Der Junge und das Mädchen. Hatten sie miteinander zu tun?«
    »Nicht soweit ich weiß.«
     
    Am Abend saß ich wieder mit meiner Mutter am Küchentisch. Es drangen dieselben Gerüche durchs Fenster, dieselben stillen Laute. Am nächsten Tag war Mittsommer. Ich würde versuchen, sie irgendwohin mit rauszunehmen.
    »Wenn überhaupt gefeiert wird in diesem Jahr«, sagte sie und drehte die Kaffeetasse unablässig im

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