Winterland
du tun?«
»Überlegen, ob ich der einzige Kripomann in Göteborg bin, oder ob es noch einen anderen gibt, der die Sache untersuchen kann, während ich Urlaub von all den schrecklichen Geheimnissen der Leute mache.«
»Wir haben ja nur einen kleinen Abendspaziergang hierher gemacht.«
Ich sprach mit meinem Stellvertreter bei der Kripo, Kommissar Bertil Ringmar. Er hatte nach seinem Urlaub, der hauptsächlich von Regen und heftigem Wind bestimmt gewesen war, gerade wieder angefangen.
»Sollen wir ihn auch vermisst melden?«, fragte er.
»Warte bis morgen.«
»Vielleicht machen sie gerade eine zweite Hochzeitsreise.«
»In einem der Schränke standen zwei Reisetaschen.«
»Jetzt sei doch nicht so konventionell«, sagte Ringmar.
»Bist du noch nie bloß mit einer Zahnbürste in der Hosentasche verreist?«
»Im Badezimmer standen zwei Zahnbürsten in zwei Bechern.«
»Haha. Na gut, wir warten, und in der Zwischenzeit bitte ich die Streife und die Leute vom Verkehr, sich ein wenig umzuschauen.«
»Gut.«
»Ich sehe auch mal im Register nach, dann können wir zudem nach ihrem Auto Ausschau halten.«
Sie fanden das Auto. Bertil rief mich am nächsten Morgen an.
»Es stand draußen bei Näset. Leer.«
»Auf dem Parkplatz?«
»Ja.«
Näset. Die Badestelle am Meer. Von der Wohnung der beiden Sjölanders, an die ich doch immer als Monika und Per dachte, waren es fast zwanzig Kilometer dorthin.
»Wir durchsuchen das Auto«, sagte Bertil.
»Ruf mich dann wieder an.«
Ich trank ein Glas Wasser und war verwirrt, oder eher beunruhigt. Das hier war kein guter Urlaub.
Angela kam mit frischem Rosinenbrot aus der Bäckerei unten im Haus. Ich holte Käse, Marmelade und Butter heraus. Das Brot war noch warm. Das Telefon auf dem Tisch im Flur klingelte, als ich gerade den ersten Bissen nahm. Ich stand auf.
»Es ist wirklich schön, Urlaub zu haben«, sagte Angela in einem Ton, der fast ein wenig ironisch klang.
»Die Leute haben auf dem Fußboden vor dem Vordersitz einen Zettel gefunden«, sagte Bertil. »Unter der Gummimatte.«
»Und?«
»Eine Reihe Zahlen. Vielleicht eine Telefonnummer.«
»Ja, dann ruf sie doch an.«
»Ich dachte, dass du vielleicht …«
»Gib sie mir.«
Er las vor, und ich notierte. Wir legten auf, und ich wählte die Nummer.
Kein Anschluss unter dieser Nummer. Es gab keinen Telefonanschluss mit dieser Nummer. Ich betrachtete die Zahlen. Es sah einfach aus wie eine Telefonnummer.
Ich hatte eine Idee und ging zum Schreibtisch und nahm mir eine Liste, die fast obenauf in einem Stapel lag. Sie enthielt Namen und Telefonnummern. Ich verglich sie eine nach der anderen mit der Nummer, die auf dem Zettel stand. Keine stimmte genau überein, aber eine der Nummern auf meiner Liste war dieselbe, wenn man bei der Zahl auf dem Zettel aus einer Neun eine Vier machte.
Ich rief diese Nummer an und hörte das Klingeln und noch einmal. Ein Anrufbeantworter: »Ich bin gerade nicht zu Hause, aber …« und so weiter. Eine Männerstimme, die ich kannte.
Erik Werner.
Das Klassentreffen.
Mein Namensvetter, jedenfalls so gut wie.
Ich hatte seine Adresse nicht, die bekam ich aber von der Auskunft. Hammarvägen. Ich fand die Straße auf der Karte, Teilstück 44. Nicht weit vom Badvägen in Näset und vom Parkplatz.
Der Verkehr nach Näset raus war dicht. Der Sommer war jetzt da, vielleicht endgültig. Die Sonne brannte auf das Autodach.
Erik Werners Haus lag im Schatten. Es war eine weiße Ziegelsteinvilla, wie die meisten Häuser hier. Werner schien im Leben ganz gut zurechtgekommen zu sein. Die Garage stand offen, aber es war kein Auto da.
Er machte nicht auf, als ich klingelte. Der Alltag eines Kriminalkommissars bestand doch zu einem ziemlich großen Teil daraus, an Türen zu klingeln, die niemals aufgemacht wurden.
Hinter mir hörte ich ein Auto, und als ich mich umdrehte, sah ich es in die Einfahrt einbiegen und vor der Garage stehen bleiben. Mein Namensvetter stieg aus.
»Alles ist irgendwann das erste Mal«, sagte er.
Vielleicht bezog er sich auf meinen Besuch. Vielleicht auch auf irgendwas anderes.
»Ich suche Per und Monika«, sagte ich.
»Du hättest niemals dieses verdammte Klassentreffen organisieren sollen«, sagte er.
»Ich habe nicht einmal …«
»Zu viele alte, schlechte Erinnerungen«, fügte er hinzu.
Er stand jetzt sehr nah bei mir. Seine Augen hatten einen Ausdruck, den ich schon einmal gesehen hatte, nämlich bei Menschen, die schwere Verbrechen begangen
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