Winterland
und nicht hier. Bengt stand auf, als wolle er mir ein Zeichen geben. Kerstin sah nicht auf, als ich durch die Küche hinausging. Die Musik vom Park war plötzlich lauter.
Als ich nach Hause kam, hatte meine Mutter sich bereits hingelegt. Das Haus war von den Schatten der Dämmerung erfüllt. Ich rief die Polizeiwache im Ort an und erhielt schließlich die Privatnummer von Kommissar Birgersson. Wir hatten uns erst am selben Morgen kennen gelernt, aber mir schien es schon eine Ewigkeit her.
»Was sind Sie denn für einer, dass Sie sich nicht schämen, am Mittsommerabend anzurufen?«, fragte er, aber das war mehr Gerede als wirklicher Zorn. Ich konnte an seiner Stimme hören, dass er zum Hering ein paar Schnäpse genommen hatte, und vielleicht gerade jetzt ein Glas Whisky in der Hand hielt.
»Wie steht es mit den Alibis der Eltern?«, fragte ich.
»Wir hatten doch ausgemacht, dass wir uns nicht in die Quere kommen wollen«, erwiderte er.
»Hier kommt keiner keinem in die Quere«, sagte ich.
Er ließ ein kurzes Lachen hören, und dann vernahm ich die Pause, als er aus seinem Glas trank, Whisky oder Gin.
»Dafür kann ich in Teufels Küche kommen«, sagte er.
»Hat sich jemand beschwert?«
»Noch nicht.« Wieder eine Pause. Ich konnte die Musik im Hintergrund hören. Keine Geigen, sondern mehr in Richtung Bigband. Er schien diese Sorte Typ zu sein, die das mag. »Vater und Mutter des Jungen waren zu Hause. Sie hatten ein kleines Fest mit zwölf eingeladenen Gästen, die so lange wie möglich blieben. Die Eltern des Mädchens, tja, also die sagen, sie seien zu Hause gewesen, und es gibt niemanden, der das bestätigen oder bestreiten könnte. Am Ende haben sie sich ja selbst aufgemacht, um das Mädchen zu suchen.«
Ich weiß, dachte ich. Aber ich dachte auch an eine andere Sache. Birgersson wusste nicht, was Anna mir am Nachmittag gesagt hatte, dass sie nämlich den Jungen und das Mädchen schon einmal zusammen gesehen hatte. Dieses Wissen wollte ich auch noch eine Weile für mich behalten.
»Wissen wir noch mehr über den Jungen und das Mädchen? Kannten sie einander?«
»Wissen Sie noch mehr?«
»Nein«, log ich.
»Wir haben versucht, ihre Freunde zu befragen, aber so etwas braucht Zeit, das wissen Sie ja selbst.«
»Die Mutter des Jungen und der Vater des Mädchens kannten sich von früher«, sagte ich jetzt. »So eine Art Verhältnis.«
»Woher wissen Sie das?«
»Ich komme von hier, Birgersson.«
»Was könnte das bedeuten?« Ich hörte das Klirren von Eis in seinem Glas. Es schien nicht mehr viel Eis übrig zu sein, oder vielleicht war es auch ein großer Drink. »Sind nicht alle Jugendlichen früher oder später miteinander zusammen in so einem kleinen Scheiß… in so einem kleinen Ort?«
Nicht nur die Jugendlichen, dachte ich.
Anna öffnete die Tür, ehe ich noch auf die Klingel drücken konnte. Ich versuchte sie an mich zu ziehen, aber sie entwich mir und zeigte ins Haus.
Im Wohnzimmer saß Jacob in einem Sessel. Das Licht der Dämmerung verlieh allem einen seltsamen Glanz: Es war immer noch stark und würde sich so lange halten, bis die Morgendämmerung kam.
Aus dem Zimmer des Jungen im oberen Stock konnte ich die Geräusche des Computers hören. Es klang nach Gewehrsalven und explodierenden Granaten. Jacob sah nicht mich an, sondern schaute aus dem Fenster. Da er Pfarrer der Pfingstbewegung war und kein Beffchen trug, konnte man ihm nicht ansehen, dass er ein Diener Gottes war.
»Dann hast du also hergefunden«, sagte er und sah mich an. »Das hat ja nicht lange gedauert.«
»Was soll denn das heißen?«, fragte ich und setzte mich aufs Sofa.
»Anna und ich sind alte … äh, Bekannte«, sagte er stockend, und ich meinte zu verstehen, was er damit sagen wollte.
»Möchte einer von euch einen Kaffee?«, fragte Anna, die stehen geblieben war. Ich konnte erkennen, dass sie nervös war. Sie hatte nichts gesagt. Ich wusste nicht so recht, wo ich da hineingeraten war. »Oder etwas anderes? Andreas? Jacob?« Sie sah zu mir und dann zu ihm. Er schaute aus dem Fenster.
»Etwas anderes«, sagte er, ohne den Blick zu wenden.
Sie lachte ein wenig nervös und ging dann in die Küche. Man hörte, wie der Kühlschrank geöffnet wurde.
»Glaubst du, dass es Gott gibt, Andreas?«, fragte er plötzlich und wandte sich mir zu.
»Ich weiß es nicht«, antwortete ich.
»Es geht nicht um Wissen, es geht um Glauben.«
»Ich weiß nicht, ob ich es glaube«, sagte ich.
Er lachte.
»Was machst du
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