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Winterland

Winterland

Titel: Winterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Åke Edwardson
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verstauten ihre Einkäufe in den Autos und fuhren nach Hause, um Mittsommer zu feiern. Eine Frau, die ich wiedererkannte, öffnete ihre Autotür für einen etwa zehnjährigen Jungen. Sie sah in meine Richtung und hielt inne. Ich winkte, stellte die Flasche auf den Tresen am Kiosk und ging auf sie zu. Der Junge saß bereits im Auto.
    »Lange nicht gesehen«, sagte sie.
    »Wie geht es dir, Anna?«, fragte ich.
    Sie zuckte mit den Schultern und schob das Haar aus der Stirn. Der Junge, der, wie ich wusste, ihr Sohn war, sah mich durch die Fensterscheibe an. Es musste ziemlich warm sein da drin.
    »Hast du schon zu Mittag gegessen?«, fragte sie.
     
    Wir saßen im schattigen Garten. Der Junge war irgendwo anders. Ich trank von dem Weißwein, den sie zum Lachs aufgetragen hatte. Sie erzählte, dass sie seit drei Jahren mit ihrem Sohn alleine lebte. Das hatte ich nicht gewusst. Auch ich erzählte ein wenig von mir.
    »Hast du sie besucht?«, fragte sie.
    »Nur Stig und Lena«, sagte ich.
    »Ich habe den Jungen und das Mädchen zusammen gesehen«, sagte sie.
    »Die Eltern sagen, sie hätten nichts gewusst«, meinte ich.
    »Er stammte aus einer weltlichen Familie, wenn man so sagen darf.« Anna nahm einen kleinen Schluck Wein. »Das darf natürlich nicht sein.«
    »Ich habe Stig und Lena nie als Fundamentalisten betrachtet«, hielt ich ihr entgegen.
    Sie antwortete nicht.
    »Aber du kanntest sie doch nicht, oder?«, meinte ich.
    »Nicht wirklich. Auch Bengt und Kerstin nicht, nicht mehr. Kerstin und ich sind ja gleich alt, wusstest du das?«
    »Nein.«
    »Wir gingen bis zur Neunten in eine Klasse. Und einige Zeit danach waren wir auch noch befreundet.« Sie goss mir noch etwas Wein ein. Ich verspürte eine gewisse Leichtigkeit im Kopf. »Da war mal etwas zwischen Stig und ihr, so viel weiß ich, ohne gleich eine Tratschtante zu sein. Das war, bevor er sich für Gott entschied.«
    »Wie meinst du das?«
    »Ehe er zu den Freikirchlichen ging.«
    »Nicht das. Das andere. Du hast gesagt, zwischen ihnen war etwas.«
    »Sie waren einfach zusammen. Nicht lange, aber ich weiß, dass sie es waren. Kerstin und ich waren schließlich Freundinnen. Sie machte daraus aber ein Geheimnis.«
    Ich ließ das Weinglas stehen, denn ich wollte das Gefühl der Leichtigkeit bewahren. Sie sah mich an. Irgendetwas war da in ihrem Blick. Sie strich sich wieder das Haar zurück. Ich verspürte eine Wärme im Kopf, die nicht von der Sonne kam. Mein Mund war plötzlich trocken. Sie hatte ein Lächeln auf den Lippen und ich mußte immer ihren Mund betrachten.
    Wir standen gleichzeitig auf und gingen ins Haus.
     
    Die Schatten waren schon länger, als ich vor dem Haus von Bengt und Kerstin stand. Vom Park her konnte ich Geigen hören, sie klangen jedoch wehmütig. Ich war kurz zuvor dort vorbeigegangen und hatte gesehen, dass nicht viele Leute um den Mittsommerbaum tanzten. Ich klingelte. Ein Hund bellte als Antwort, Bengt öffnete die Tür. Immer machten die Männer die Türen auf.
    »Ach, du bist es«, sagte er.
    »Ich komme privat.«
    »Du nimmst dir einiges raus«, sagte er, öffnete die Tür dann aber doch ganz. Ich ging hinein. Wir setzten uns in die Küche. Aus der oberen Etage hörte ich das Geräusch von fließendem Wasser.
    »Was willst du?«, fragte er. »So ganz privat.«
    »Wer und warum will ich wissen«, sagte ich.
    »Ein Verrückter«, sagte er. »Die gibt es überall.« Er sah nach oben, zum Himmel oder zur oberen Etage. »Wir stehen hier unter Schock, wie du dir sicher denken kannst. Deshalb habe ich dich überhaupt nur reingelassen.«
    »Hast du das Mädchen mal kennen gelernt?«
    »Helena? Nein. Ich weiß nicht, warum die beiden … warum die beiden zusammen gefunden wurden«, sagte er mit einer Stimme, die brüchig klang. »Ja, ich wusste, wer sie war, aber … das ist auch schon alles.«
    Oben hatte das Wasser aufgehört zu rauschen. Es war still. Der Hund lag still in seinem Korb im Flur. An der Wand in der Küche hing eine Uhr, ich sah das Pendel, hörte aber kein Ticken.
    »Ist Kerstin zu Hause?«, fragte ich.
    »Ich bin zu Hause«, sagte sie und stand plötzlich in der Türöffnung. Ich hatte sie nicht die Treppe herunterkommen hören. »Könntest du uns jetzt in Ruhe lassen, Andreas?« Sie sah zu ihrem Mann: Warum hast du den reingelassen? Ihr Gesicht war ohne Züge, eine Skizze. Die Trauer hatte sich bereits mehr hineingegraben als bei ihrem Mann. Ich wollte sie ein paar Sachen fragen, aber das würde nicht gehen, nicht jetzt

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