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Winterland

Winterland

Titel: Winterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Åke Edwardson
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Kreis. »Wer will schon feiern, wenn so etwas passiert ist?«
    Ich antwortete nicht. Sie drehte die Tasse.
    »Die Armen«, sagte sie und dachte wahrscheinlich dabei an die Eltern. Sie sah mich an. »Kannst du nicht was tun?«
    »Was meinst du?«
    »Dich drum kümmern, was da passiert ist. Das müssen sie doch erfahren. Sonst kann man mit so etwas nicht leben. Das geht nicht. Man muss es wissen. Wer es getan hat und warum. Solche Dinge müssen die Armen doch erfahren.«
    »Die Polizei arbeitet daran«, antwortete ich.
    »Hm«, brummte sie, und ich begriff, dass sie damit zusammenfasste, was sie von den zuständigen Ermittlern hielt. Oder vielleicht auch, was sie von allen Kriminalbeamten hielt, die nicht ihr Sohn waren. Ich sah die Schmerzen, die sie hatte. In drei Tagen würde sie wieder ins Krankenhaus kommen, und ich war nicht sicher, ob sie jemals wieder zurückkehren würde. Ich wusste auch, dass sie selbst so dachte, aber sie sagte es nicht.
     
    Der Morgen kam mit derselben Sonne und derselben Wärme. Der Himmel war strahlend blau, ohne ein Wölkchen. Nach einem späten Frühstück schlug ich vor, wir sollten einen Spaziergang zum Gemeindehaus unternehmen, um zu sehen, wie man trotz allem, was geschehen war, das Mittsommerfest für den Nachmittag vorbereitete.
    »Ich bin etwas müde«, sagte sie. »Geh du doch allein, Andreas.«
    Beim Gemeindehaus schmückten Kinder und Erwachsene den Mittsommerbaum. Ein paar Musiker zupften leise ihre Saiten, als ob Musik heute nicht so richtig passen würde. Ich nickte einem Mann, den ich kannte, zu und ging dann weg. Ich hatte einen Entschluss gefasst.
     
    Stig machte mir auf. Sein Gesicht war nur ein Schatten. Wir hatten vor vier Jahren einige Worte gewechselt, als mein Vater gestorben war und ich ein paar Tage zu Hause verbrachte. Danach nichts mehr. Er wusste, was ich in der großen Stadt machte.
    »Du nicht auch noch«, sagte er.
    »Darf ich ein wenig reinkommen?«
    »Was sollte das für einen Sinn haben?«, fragte er, und ich tat einfach so, als ob er nicht meinen Besuch damit meinte, sondern das Leben im Großen und Ganzen. Oder den Tod. Dann trat er doch zur Seite, und ich ging hinein.
    Lena saß am Küchentisch. Die Rollos sollten die Sonne aussperren, doch sie drängte sich durch die Ritzen und machte Lenas Gesicht fleckig und hart. Ich ging zu ihr und umarmte sie und spürte ihre Tränen auf meiner Wange.
    »Wo war Gott?«, war das Erste, was sie sagte.
    »Jetzt hör auf damit«, sagte Stig.
    »Wir haben so sehr versucht zu beten«, sagte sie, und ich begriff nicht wirklich, was sie damit meinte. Ich fragte nicht. Vielleicht fand sie, dass Gott keine große Freude oder Hilfe in ihr Leben gebracht hätte. Aber vielleicht war das auch nur, was sie jetzt glaubte. Sie war schon in der Grundschule sehr christlich gewesen, Stig kam erst als Erwachsener dazu, oder besser gesagt, als er sie kennen lernte. Soweit ich mich erinnern konnte, fand er erst da zu Gott.
    »Arbeitest du mit … mit dem hier?«, fragte Stig und setzte sich an den Küchentisch.
    »Nein.«
    »Die ganze Zeit kommen Leute und stellen Fragen«, sagte er.
    »So läuft das immer«, erwiderte ich.
    »Aber das ändert doch nichts«, sagte er.
    Ich antwortete nicht. Ich hatte selbst ein paar Fragen.
    »Kannte … Helena diesen Jungen?«
    »Also bist du doch im Dienst?«
    »Ich will helfen«, erwiderte ich.
    »Nicht soweit wir wissen«, sagte Lena und sah auf. Auf ihren Scheitel traf ein Sonnenstrahl, der sich um ihren Kopf zu schlingen und ihr eine Gloriole zu verleihen schien. »Aber wir wissen ja nicht alles.«
    »Aber ihr wusstest trotzdem, wer er war?«
    »Doch, das ist klar. Du weißt ja selbst, wie klein der Ort hier ist.«
    »Was hatte sie denn vorgestern Abend vor?«
    »Mit einer Freundin Fahrrad fahren«, antwortete sie. »Es war ein schöner Abend, und wir, ja, wir vertrauten ihr.« Sie sah mich an, als hätte sie damit ein Verbrechen begangen.
    »Als sie dann um halb zwölf immer noch nicht zu Hause war, riefen wir die Freundin an, und die war schon lange zu Hause. Dann sind wir rausgefahren und … und haben gesucht, und …«
    »… und ein paar Jugendliche, die Flaschen einsammelten, fanden sie gestern Morgen«, fuhr ihr Mann fort, der mit fest ineinander verschränkten Händen dasaß. Er quälte sich wirklich, das konnte ich sehen.
     
    Am Kiosk auf dem Marktplatz kaufte ich etwas zu trinken. Die Sonne hatte ihren höchsten Stand erreicht. Aus dem Supermarkt gegenüber kamen viele Leute,

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