Winterland
scheinen auf dem Weg fort von hier zu sein, dachte er. Das ist immer so in kleineren Orten, die im Schatten größerer Städte liegen. Er trank seinen Kaffee und wartete. Allen Dingen haftete etwas Zufälliges an. Der Schatten der großen Stadt verdunkelte die Gemeinden in der Umgebung, und wer konnte, der zog nach Westen, um schließlich ins Licht und ans Meer zu kommen. Er lächelte leicht und schaute in seine Tasse. Dann hörte er eine Stimme und sah auf.
»Ich glaube es nicht«, sagte sie.
Er antwortete nicht.
»Ich dachte, es wäre ein Witz, als ich deine Stimme auf dem Anrufbeantworter hörte.« Sie stand immer noch neben dem Tisch. »Ein schlechter Witz.«
»Willst du dich nicht setzen?«
»Nein.«
»Jetzt komm schon, Britt.«
»Ich sollte eigentlich gar nicht hier sein«, sagte sie und blickte auf den leeren Stuhl vor sich. Sie setzte sich.
»Möchtest du einen Kaffee?«
»Ich möchte eine Erklärung.«
»Deshalb bin ich hier. Aber ich weiß nicht viel mehr als du.«
Er hatte ihr gesagt, dass er sie treffen wolle und dass es sehr wichtig sei. Nach so langer Zeit hatte sich eine Neuigkeit ergeben.
Es war alles lange her, aber nichts hatte ihm Ruhe verschaffen können. Ich muss zur Ruhe kommen, hatte er viele Male gedacht. Es muss ein Ende haben.
Er hatte sie angerufen, mehr als einmal. Es war, als hätte er bei ihr Trost gesucht. Das war im Laufe der vergangenen Jahre ein paar Mal geschehen. Und im letzten Jahr noch häufiger. Du musst aufhören, hatte sie gesagt. Du musst aufhören, Peter. Du musst. Wir müssen es vergessen. Es muss ein Ende haben.
»Wir sollten nicht hier sitzen«, sagte sie und sah sich um.
»Siehst du jemanden, den du kennst?«
»Es gibt immer jemanden, der mich wiedererkennt.«
»Bist du so bekannt?«
»Offenbar hast du vergessen, wie es ist, in einem solchen Ort zu wohnen.«
»Ja.«
»Du Glücklicher.«
Er antwortete nicht.
»Aber vielleicht ist es ja der beste Ort, um sich zu treffen.«
Sie sah sich wieder um. »Mit der größten Anonymität.«
»Ja«, sagte er.
»Und?« Sie sah ihn an. »Warum bist du hergekommen?«
In ihrem Blick war keine Wärme. »Du hast versprochen, niemals zurückzukommen.« Sie machte eine Handbewegung, und er sah den Ring an ihrem Finger. Ihr Mann. Er wusste nicht, wie lange die beiden schon zusammen waren.
»Hast du deinem … Mann … etwas über uns gesagt, ich meine, dass wir uns hier treffen werden?«
»Glaubst du, ich bin verrückt?«
Er schüttelte den Kopf.
»Warum bist du hier?«, wiederholte sie.
»Ich habe einen Brief bekommen.«
Sie wartete. Im Café waren nur noch wenige Menschen. Der Nachmittag hatte sich in einen warmen Sommerabend verwandelt, man sah die Wärme förmlich durchs Fenster. Die Straße draußen war leer. Er sah sie an. Sie sah aus, als würde sie in ihrer weißen Bluse frieren. Ihr Gesicht war dasselbe geblieben, wenn er sie ansah, war es, als gäbe es keine Zeit. Fast ein Vierteljahrhundert war vergangen, aber er hätte sie jederzeit und überall wiedererkannt. An jedem Tag in den vergangenen Jahren hatte er an sie gedacht. Und das waren viele Tage gewesen. Er sah, dass sie ihn fast nicht wiedererkannte. Das Haar. Der Bart. Die Kleider, die anders als sonst waren. Wenn sie gesehen hätte, wie er sich bewegte, dann hätte sie ihn nicht wiedererkannt. Niemand hier hatte ihn wiedererkannt. Niemand.
»Und?«, fragte sie.
»Es war nicht direkt ein Brief«, sagte er, fuhr mit der Hand in die Innentasche des Sakkos, holte einen Umschlag heraus und reichte ihn ihr hinüber. Sie nahm ihn, schaute darauf und sah dann wieder ihn an.
»Du kannst es ruhig rausnehmen«, sagte er.
Außer ihnen war jetzt niemand mehr im Café.
Sie hielt den Zeitungsausschnitt in der Hand.
»Es ist eine Kleinanzeige«, sagte er.
»Das sehe ich.«
»Hast du sie gelesen?«
Sie sah ihn an, ohne zu antworten.
»Hast du sie gelesen?«, wiederholte er.
Sie nickte, ohne zu antworten.
Er wiederholte leise, was sie gelesen hatte: »An Peter und Britt zum Jahrestag. Liebe Grüße vom Teich.«
Sie sah jetzt aus, als wäre sie zu Eis erstarrt. Ihre Haut war fast genauso weiß wie ihre Bluse.
»Wo … wo hat das gestanden? Und wann?«, fragte sie, ohne ihn anzuschauen. Sie hatte den kleinen Ausschnitt wieder in den Umschlag gesteckt.
»Das steht auf der Rückseite«, sagte er.
Sie nahm den Zettel wieder heraus und las das Datum, das handschriftlich mit Bleistift auf der Rückseite stand. Darunter stand »GP« für Göteborgs
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