Winterlicht
fort.
„Balthasar wird überleben“, widersprach er scharf.
„Finnikin, ich sage ja nur, dass du auf alles vorbereitet sein musst. Der König hat die Krone seiner Frau und seinen Kindern hinterlassen und deren Kindeskindern. Wenn sie aber tot sind, muss der Oberste Ratgeber des Königs den Thron besteigen. Sir Topher ist des Königs Erster Mann und du bist sein Lehrling. Jehr könnte Recht haben. Ist dir nie in den Sinn gekommen, dass du tatsächlich eines Tages König sein könntest?“
Er drehte sich wieder zu ihr. „Sag so etwas nie mehr“, zischte er.
Sie legte ihre Hand über seinen Mund, doch er schob sie weg. „Still!“, sagte sie. „Hast du deshalb gezögert zurückzukehren?“
„Schlaf jetzt“, wiederholte er. „Und bete, dass der Sohn unseres Königs Lumatere erlösen wird.“
In dieser Nacht träumte er von Balthasar und Lucian und dem Silberwolf. Der Wald von Lumatere verwandelte sich in ein Festgelände, während die Leute Seite an Seite mit dem König und der Königin tanzten und der Priesterkönig das Lied von Lumatere sang. Aber die Worte waren irgendwie falsch, und Finnikin wollte es allen sagen, doch niemand hörte ihm zu. Außer Seranonna, die ihn mit einem Finger zu sich winkte. Da war Finnikin auf einmal im Wald von Lumatere, wo die Matriarchin ihn erwartete und mit einer Hand Isaboes Kopf fasste und mit der anderen seinen. Ihr eiskalter Atem strich über seine Wangen, als sie ihn zwang, die kichernde Prinzessin anzusehen.
Ihr Blut wird fließen, damit du König wirst.
Finnikin erwachte schweißgebadet. Er sah die dunklen Umrisse seines Vaters, der auf dem Felsen Wache hielt, und ging zu ihm hinaus. Den Rest der Nacht saßen sie schweigend beieinander.
Als die Sonne aufging, fragte Finnikin: „Meinst du, sie sind da draußen?“
„Ich hoffe es, Finn. Aber es geht nicht darum, was ich mir wünsche. Es geht um Lumatere, und ohne meine Garde kann ich die Dinge nicht in Ordnung bringen.“
Im Dämmerlicht sah Finnikin die Seelenqual seines Vaters.
„Ich schulde es unserem Volk, Finn. Die Fünf Tage des Unsagbaren ereigneten sich, als ich Hauptmann der Garde war. Ich schulde unserem Volk eine Wiedergutmachung.“
Die nächsten Tage suchten sie in den Felsendörfern entlang des Flusses nach irgendeiner Spur von Trevanions Männern. Vergeblich. Bald würden sie die Grenze zu Yutlind Nord erreichen, wo ihre Suche völlig aussichtslos wäre. Trevanions Gewährsmann, ein Dieb aus Sorel, der eine Zeit lang im Bergwerk gefangen gewesen war, hatte behauptet, die Garde von Lumatere verstecke sich in Yutlind Süd. Nach einem Zwischenfall in Osteria, der drei ihrer Männer das Leben gekostet habe, seien sie vor etwa fünf Jahren dorthin geflüchtet. Es sei ein Hinterhalt gewesen, hatte der Dieb hinzugefügt.
„Vielleicht hat dieser Halunke gelogen“, sagte Sir Topher, als sie das letzte Felsendorf hinter sich ließen.
„Aus welchem Grund?“, fragte Trevanion. „Perri bezahlte ihn dafür, dass er ein kleineres Verbrechen beging, das ihn ins Gefängnis brachte. Dort sollte er herausfinden, wo sich die Garde versteckt. Er bekam die andere Hälfte des Geldes, als er wieder freigelassen wurde. Was hätte er davon gehabt, mich anzulügen?“
„Es ist nicht mehr weit bis zur Grenze“, sagte Evanjalin. Die Landschaft ähnelte bereits dem dicht bewaldeten Norden. Finnikin spürte Trevanions Enttäuschung und Verzweiflung.
„Vielleicht waren sie gezwungen weiterzuziehen und konnten dir keine Nachricht zukommen lassen“, überlegte Sir Topher.
Trevanion nickte. Am Wegrand deutete ein Schild in Richtung der Grenzstadt Stophe, ein zweites Richtung Pietrodore, das hoch über ihnen lag. Über beide Orte wussten sie nicht viel. Pietrodore war eine freie Stadt, die nur von wenigen Reisenden besucht wurde. In Stophe würden sie dagegen wohl am ehesten eine Mahlzeit und eine Unterkunft bekommen. Finnikin hatte sich schon ausgemalt, wie sie Pläne mit den Männern der Garde schmiedeten, ehe sie zusammen ins Tal vor dem Haupttor von Lumatere zogen. Jetzt wanderten sie nur ziellos in Richtung Norden. Elf Tage in Yutlind, dachte er bitter, und was hatte dieser Aufenthalt gebracht? Eine Pfeilwunde in Finnikins Seite und ein tiefer Schmerz in Trevanions Herz.
Schweigend setzten sie ihren Weg auf der Waldstraße fort. Evanjalin ließ sich etwas zurückfallen. Sie runzelte die Stirn und dachte angestrengt nach. Sir Topher und Trevanion sprachen kein Wort.
„Hauptmann Trevanion!“, rief
Weitere Kostenlose Bücher