Winterlicht
Evanjalin plötzlich. „Hauptmann! Halt!“
Die vier drehten sich um. Evanjalin deutete lächelnd nach oben.
„Pietrodore?“, fragte Finnikin.
„Hat dir jemand im Traum gesagt, dass du uns dorthin führen sollst?“, fragte Sir Topher.
Evanjalin schüttelte belustigt den Kopf. „Wie hätte ich im Wachen einen Traum haben sollen, während ich hinter euch herlaufe, Sir Topher?“
„Zauberei?“, fragte Froi.
Die Frage ärgerte sie. „Intuition hat nichts mit Zauberei zu tun. Das habe ich dir schon einmal gesagt!“
„Es ist ein langer Aufstieg“, seufzte Trevanion. „Zu lange, als dass man ihn nur auf eine bloße Eingebung hin wagen sollte. Sie sind nicht hier.“
Finnikin sah sie an und überlegte fieberhaft, wie sie ausgerechnet auf Pietrodore kam. Plötzlich fiel es ihm wie Schuppen von den Augen und er grinste breit.
„Das ist kein vager Verdacht, Trevanion“, sagte er und stieß mit den Füßen in den goldenen Laubteppich. Er rannte zu Evanjalin, schlitterte sogar ein Stück, bis er sie um die Taille fassen und sich mit ihr im Kreis drehen konnte. „Du bist anbetungswürdig, Evanjalin aus den Bergen.“
Evanjalin strahlte übers ganze Gesicht. Sie machte sich von Finnikin los, während die anderen vollkommen verdattert dastanden und zusahen.
„Pietrodor e – dieses Wort bedeutet in der Sprache der Yuts ,Felsendorf‘.“
Kapitel 15
D er Pfad, der sie nach Pietrodore hinaufführte, war auf der einen Seite von dichtem Wald gesäumt, auf der anderen Seite führte ein gefährlich steiler Abhang bis zur Straße unten. Je höher sie stiegen, desto rutschiger waren die Steine.
So viel stand fest: Pietrodore war eine Stadt, die keinen Wert darauf legte, dass man sie bequem erreichte. Trotz der anfänglichen Begeisterung fürchtete Finnikin, die Anstrengung könnte doch umsonst sein. Er bemühte sich, Frois endloses Gejammer über seinen Hunger und das schwere Atmen des erschöpften Sir Topher zu überhören.
Wie viele andere Städte in Yutlind war auch diese Stadt schwer bewacht. Pietrodore war weder mit dem Norden noch mit dem Süden des Landes verbündet und die Bewohner begegneten den Yuts wie auch jedem Fremden mit großem Misstrauen. Seit Jahrzehnten hatte es hier keinen Krieg mehr gegeben. Dies hatte die Stadt ihrer Lage und ihrer mangelnden strategischen Bedeutung zu verdanken. Erleichtert stellte Finnikin fest, dass die Wachleute am Tor gewöhnliches Yut sprachen. Nachdem er den Geistkriegern und den Bewohnern der kleinen Dörfer hilflos gegenübergestanden hatte, war er jetzt ein bisschen stolz darauf, die Menschen hier zu verstehen.
Aber die beiden Soldaten ließen sie nicht ein. Ihre Feindseligkeit war wie eine Mauer und ihre Weigerung unumstößlich. Finnikin trat auf sie zu und wollte sie überreden, doch sie griffen sofort nach ihren Schwertern. Er wagte es nicht, sich nach den Soldaten aus Lumatere zu erkundigen, und enttäuscht musste er sich eingestehen, dass die Reise vergeblich gewesen war. Da bemerkte er, dass Evanjalin sich zu ihm gesellt hatte.
„Das ist mein Liebster“, erklärte sie den Soldaten mit den versteinerten Mienen. „Wir sollen vermählt werden.“
Sie erhielt keine Antwort.
„Von unserem geistlichen Anführer“, fuhr Evanjalin fort und deutete auf Sir Topher. „Der jüngere Bruder meines Verlobten und sein Vater sollen unsere Trauzeugen sein.“
Einer der Soldaten sah nacheinander Froi, Trevanion und Sir Topher an, die alle nickten, obwohl sie keine Ahnung hatten, wovon Evanjalin sprach.
„In allen anderen Gegenden dieses Königreichs hat man uns verfolgt.“ Evanjalin hob vorsichtig Finnikins Hemd hoch und zeigte auf die gerötete Pfeilwunde. Die Soldaten starrten mit ausdruckslosem Blick darauf. Evanjalin sah Finnikin so traurig an, dass selbst er ihr beinahe diese rührende Geschichte abgenommen hätte.
„Wir werden ganz gewiss einen Ausweg finden, Liebste“, erwiderte er sanft.
„Wir hatten gehofft, bei euch Zuflucht zu finden“, sagte Evanjalin zu den beiden Männern. „Denn wir haben gehört, dass keiner in eurer Stadt jemanden wie mich als Abschaum beschimpfen würde.“ Sie entblößte ihre linke Schulter. „Oder der mich wie ein Tier brandmarken würde.“
Finnikin konnte sein Entsetzen nur mühsam verbergen. Sie trug ein Brandzeichen, eine Nummernfolge, wie sie bei Rindern üblich war. Er sah, wie Trevanion zusammenzuckte und Sir Topher Tränen der Wut in die Augen traten. Oh, Evanjalin, was hast du uns alles
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