Winterliebe: eine Anthologie aus fünf sinnlich-romantischen, humorvollen und homoerotischen Love Storys (German Edition)
war wie betäubt, empfand nichts so stark wie diese Erleichterung und die Gewissheit, dass ich nun mein Schicksal ändern konnte. Die Trauer um meine Angelina kam erst viel später. Ich habe sie beide begraben, habe die ganze Feier über gelächelt, wenn es sein musste, genickt, wenn jemand was sagte. Ich kehrte heim und am nächsten Tag bin ich für immer gegangen. Habe dieses Leben hinter mir gelassen. Niemand von ihnen weiß, wohin, niemand hat mich hier gefunden oder soll mich finden. Ich lebe hier alleine und habe endlich zu mir selbst gefunden. Hier konnte ich um den Verlust trauern, meine süße Tochter beweinen. Hier gehöre ich her. Es war ein langer Weg für mich ...“
Lily wandte Aischa ihr Gesicht zu. Es war gerötet. Ein winziger Tropfen hing an ihren langen Wimpern, glitzerte im grauen Licht der versteckten Wintersonne.
Aischa zog ihre Hand zu sich heran, sah zu ihr auf, wusste, verstand, warum Lily gegangen war. Das Wissen war da, kam nicht schleichend, sondern mit voller Wucht und traf sie mitten in ihrem Herzen. Wilde Freude, sehnsüchtige Hoffnung keimte ein ihr auf. Sie berührte die kühle Haut mit ihren Lippen. Lily zitterte ganz leicht.
„Ich konnte ihn nicht lieben ...“, ihre Stimme drohte zu kippen, „... meinen Mann. Es ging nicht … ich habe es versucht. Wirklich, ich wollte es, aber er war nie mehr als ein guter Freund für mich. Sein Körper übte so gar keinen Reiz auf mich aus. Es war ein Kampf, mit ihm zusammen zu sein und ich war unendlich froh, dass es vorüber war, als ich endlich schwanger wurde.“
Aischa verstand und ihr Griff wurde fester. Sie kam sich schäbig vor, doch sie spürte Lilys Erleichterung gleich ihrer eigenen. Was für ein Leben: eingepfercht, gefangen, sich selbst verleugnend. Sie konnte Lily verstehen, oh, sie begriff so gut, sie empfand mit ihr. Zärtlich küsste sie ihre Handfläche. Lily sog leise die Luft ein, ihre Hand legte sich weich, zaghaft an Aischas Wange. Der Hauch einer Berührung.
„Alles im Leben erfüllt seinen Zweck“, flüsterte Lily. „Wir erkennen ihn nicht sofort, aber ich weiß es. Ich habe viel darüber gelesen, die Verbundenheit mit der Erde, die Melodie der Steine. Spinnereien, Exzentrik; sie haben es abgetan und mich damit gewähren lassen. Ich habe alles hier gefunden. Jeder Stein, der zu mir findet, ist etwas besonderes, hat eine Bestimmung. Ich forme sie, gebe ihnen ihre Gestalt und schicke sie auf die Reise. Ich lebe hier, jetzt und ich bin … glücklich. Ich möchte niemals in dieses Leben zurück. Nie wieder etwas sein, was ich nicht bin.“ Ihre Finger tasteten sich in Aischas Haare vor, berührten die schwarzen Locken nahezu ehrfürchtig. „Du bist so wunderschön. Ich hatte immer gehofft, dich wiederzusehen“, raunte sie mit erstickter Stimme. „Ich habe der Kraft des Steins vertraut und doch waren da immer diese Zweifel. Ich will nicht länger zweifeln müssen.“
Aischa schluckte hart. Die Finger strichen über ihre Kopfhaut, sandten ein Gefühl von Wärme durch jede Haarwurzel über ihr Rückgrat.
Zweifel? Sie hatte davon genug, spürte sie auch jetzt in ihr nagen. Dies war mehr, als die Frauen in den Clubs. Es konnte mehr werden. Sie waren so verschieden, ihre Welten so weit voneinander entfernt. Und diese Welt war verlockend, dieses Leben war verführerisch, fernab ihrer Welt. Die schlafende Sehnsucht wurde genährt, erstarkte und weckte unmögliche Wünsche nach dieser Ruhe. Lilys Welt, dieser beschauliche Ort waren etwas, das sie jetzt schon nicht mehr missen mochte. Hatte der Stein mit seinem inneren Feuer etwas damit zu tun?
Aischa verstand nicht genug davon, wagte hingegen nicht, Lilys Glauben an die Kraft der Steine abzutun. Sie hatte es ja ebenfalls gefühlt. Es mochte Dinge geben, die sich dem rationalen Verstand entzogen. An diesem Ort erschien es ihr zumindest möglich.
Aischa drückte sich gegen Lilys Hand, schloss die Augen und überließ sich den vorsichtig forschenden Fingern, die sich über ihre Stirn zu ihrem Gesicht vortasteten. Fingerkuppen wanderten über ihre Lider, strichen über den Nasenrücken und verharrten auf ihren Lippen.
Aischas Atem ging flach, sie wagte kaum, sich zu bewegen, wollte Lily nicht verunsichern. Ein vorsichtiges Erkunden, welches vermuten ließ, dass dies das erste Mal war, dass Lily eine Frau auf diese Weise berührte. Aischa öffnete die Lippen, als der Finger hauchzart darüber fuhr, und öffnete die Augen. Der Stein auf ihrer Brust schien sich zu
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