Winterliebe: eine Anthologie aus fünf sinnlich-romantischen, humorvollen und homoerotischen Love Storys (German Edition)
leid. Kein Urlaub, stattdessen eine Mutter, die enttäuscht sein wird, wenn er ihr das gewünschte Buch nicht mitbringt.
Ich unterdrücke ein Seufzen und ignoriere die Blicke der wartenden Kunden, deren mörderische Intensität Dirk mittlerweile im Rücken spüren dürfte. Sollen sie mich hinterher erwürgen. Mein Kopf fühlt sich eh an, als wäre ich nur noch einen Schritt von einem gemütlichen Erdmöbel entfernt.
„Warte hier. Ich werde sehen, was ich tun kann“, verspreche ich ihm und verschwinde unter entrüstetem Schnauben und Grollen nach hinten. Es ist interessant. Jeder Kunde möchte gern wie der sprichwörtliche König behandelt werden. Aber wenn einem anderen Kunden diese Aufmerksamkeit zuteilwird, hat man dafür kein Verständnis, weil es von der eigenen kostbaren Zeit abgeht. Widersinnig, nicht wahr?
Fünf Minuten später kehre ich an meinen Platz zurück. Ich fühle mich wie ein Drachentöter, als ich Dirk verkünde: „Ich habe in der Filiale in Mönchengladbach ein Exemplar aufgespürt. Meine Kollegin wohnt hier in der Stadt. Sie kommt morgen auf dem Weg zur Arbeit bei uns vorbei und wirft es in den Briefkasten.“
Dafür schulde ich Kati, die ebenso angeschlagen ist wie ich, meine Seele. Unser Telefonat klang wie ein Gipfeltreffen der Rabenvereinigung. Bin ich ein schlechter Mensch, weil ich für Frau Birnbach diesen Aufwand nicht betrieben hätte? Für Dirks dankbares Strahlen hingegen hätte ich das Buch persönlich über Nacht gedruckt. Mit aus Kartoffelhälften geschnitzten Drucktypen, wenn nötig.
„Oh wow, ist das dein Ernst? Wie kann ich das wiedergutmachen?“, fragt Dirk hingerissen.
Sein Enthusiasmus ist mir unangenehm; gerade weil ich für ihn mehr tun würde als für andere Kunden. Ich fixiere das Klebeband, während ich brumme: „Nicht doch. Nicht nötig.“
Die Hartnäckigkeit, mit der Dirk am Ball bleibt, überrascht mich. Kurzerhand streift er meinen Einwurf beiseite und lächelt mir warm zu: „Komm, das war nicht selbstverständlich. Da darf man sich mal bei seinem langjährigen Buchberater bedanken. Ein selbst gemachtes Abendessen schulde ich dir mindestens. Zeugen berichten, dass ich ziemlich gut kochen kann.“
Ich bin überrumpelt. Als Dirk mir zuzwinkert, wird mir ganz anders. Flirtet er etwa mit mir? Und wenn ja, meint er es ernst? Was ist mit seinem zum Sterben schönen Freund, der ihn bei ihren gemeinsamen Besuchen im Laden nie aus den Augen gelassen hat? Der unübersehbar ein Problem damit hat, dass Dirk und ich uns gut verstehen? Der vielleicht sogar ahnt, dass ich etwas für seinen Freund übrig habe?
Selbst gemachtes Essen. Ja bitte. Heute Abend am besten. Ich sterbe vor Hunger, und der Gedanke, nicht selbst für meine Nahrungsaufnahme zuständig sein zu müssen, hat etwas Erhebendes. Aber nein, heute meint er kaum. Und selbst wenn: Ich muss vernünftig sein, früh ins Bett gehen und morgen die letzten Stunden hinter mich bringen. Dabei würde ich mich gern mit ihm treffen. So gern. Nur ein einziges Mal. Und dabei viele verdorbene Dinge tun ...
„Ich komme darauf zurück“, höre ich mich sagen. „Sobald ich wieder durch die Nase atmen kann.“
Dirk stutzt. Ich weiß, dass wir in dieselbe Richtung denken. Es ist der Zauber der Pheromone, wenn man so will. Oder anders: Wir sind ein verdorbenes Volk. Der Genuss eines guten Essens wird mit einer Erkältung zweifelsohne getrübt. Noch schwieriger aber ist es, andere erfreuliche Dinge mit dem Mund zu tun, wenn man nicht durch die Nase atmen kann.
Bevor ich Zeit habe, mich zu schämen oder mich mit einer ironischen Bemerkung aus der Affäre zu ziehen, murmelt Dirk heiser: „Und ich erinnere dich daran.“
Ich muss schlucken. Wir haben uns in der Vergangenheit oft unterhalten, über Bücher geredet. Wir sind dabei von einem Thema zum nächsten gekommen. Es war ein lässiges Miteinander, Dialog zwischen zwei Leseratten. Entspannt, gefahrlos, platonisch.
Jetzt vibriert eine Spannung zwischen uns, deren Auftauchen mir kräftig an die Substanz geht.
Ich würde gern ergründen, was zwischen uns vor sich geht. Aber mehr Zeit ist uns nicht vergönnt. Das erste Räuspern wird laut. Ich höre es tuscheln. „Privatangelegenheiten gehören hier wohl kaum her“ und „Unverschämtheit“.
Wir verabschieden uns mit einem Blick, der ein Versprechen ist. Wenn meine Knochen nicht so verflucht schwer wären, hätte ich einen Ständer.
Er hat mich eingeladen. Mich! In diesem Augenblick ist es mir egal, dass Dirk in
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