Winterliebe: eine Anthologie aus fünf sinnlich-romantischen, humorvollen und homoerotischen Love Storys (German Edition)
allem Überfluss ein ausgesprochen netter, von schwarzem Humor beseelter und schwuler Mann ist, macht die Dinge nicht leichter. Denn richtig, ein solches Prachtexemplar ist in festen Händen. In niederschmetternd aufregenden Händen.
Ich muss mir tagsüber keine Papiertüte über den Kopf ziehen, um zu verhindern, dass kleinere Vögel tot vom Baum fallen. Aber ich bin ... durchschnittlich. Durschnittlich groß, durschnittlich schwer, durchschnittlich braunhaarig, durchschnittlich langweilig, heute durchschnittlich schlecht rasiert. Jemand, der im Club erst dann einen Fang macht, wenn die Elite die Tanzfläche geräumt hat. Nicht, dass ich in Clubs gehen würde.
Kurz: Ein Halbgott wie Dirk interessiert sich nicht für mich, und wenn ich nicht zufällig sein Ansprechpartner für gute Krimis wäre, würde er mich nicht einmal bemerken. Diese Gewissheit tut weh und hat mir in den vergangenen Monaten manche Nacht verfinstert.
Heute ist er allein. Sein Freund ist nicht dabei, um mich mit seiner Anwesenheit zu verhöhnen. Über zwei ältere Damen hinweg nicken wir uns zu. Seine hochgezogenen Augenbrauen kommentieren stumm das Chaos um uns herum. Sein Blick vermittelt gutmütiges Mitgefühl, als er sich in die Schlange an meiner Kasse einreiht.
Oh, Dirk, ich will nicht hoffen, dass du von mir einen geistreichen Tipp für dein Bücherregal erwartest. Sonst immer gern. Tag und Nacht. Aber heute nicht. Heute kann ich nicht einmal meinen eigenen Namen buchstabieren; geschweige denn gute Ratschläge erteilen.
Während ich einen Kunden nach dem anderen mechanisch abfertige, kommt Dirk näher. Ein grell-gelber Schal liegt auf seinem dunklen Mantel. Gelb statt Rot zu Weihnachten. Wie erfrischend. Zitrone statt Bratapfel. Mais statt Tomate. Sonnenblume statt ... Erwähnte ich, dass ich vermutlich Fieber habe?
„Hallo, Leif“, begrüßt Dirk mich, als er an der Reihe ist. Er macht einen spitzen Mund. Vielsagend nickt er zu dem Getümmel vor dem geplünderten Regal mit den Neuerscheinungen: „Kein guter Tag, um dich mit einer eiligen Bestellung zu überfallen, oder?“
Um Himmels willen. Nein, ist es nicht. Aber das kann ich kaum sagen. Zu keinem Kunden und schon gar nicht zu Dirk. Stattdessen krächze ich: „Kommt darauf an, um was es sich handelt.“
„Ich habe noch kein Weihnachtsgeschenk für meine Mutter und muss am 2. Feiertag bei ihr zum Rapport erscheinen“, seufzt er. Nach seinem Geständnis mustert er mich. Sein flehender Blick schmilzt zu einem fragenden Stirnrunzeln zusammen; ich vergöttere sein redseliges Gesicht. Es hinterlässt den Nachhall erschütternder Ehrlichkeit, weil er nicht lügen kann, ohne dass man es ihm ansieht: „Bist du krank?“
Ich lache. Nein, ich schnaufe. Es ist das grippebedingte Äquivalent zum Lachen; glücklicherweise ohne ungehörige Körpersekrete, die aus meiner Nase tropfen: „Könnte man glauben, hm?“
„Solltest du dann nicht zu Hause sein?“
„Wenn alle Kolle gen, die krank sind, im Bett wären, wäre der Laden seit zwei Wochen dicht“, erkläre ich ihm achselzuckend. Und ja, ich fische nach seinem Mitleid. Hey, ich kann ihn schon nicht haben, weil sein feuchter Traum von einem Freund ihn fest im Griff hat. Da kann ich wenigstens seine moralische Unterstützung genießen, od er?
„Das klingt ja nicht gut. Und nun komme ich auch noch mit Sonderwünschen daher“, murmelt Dirk mit der angemessenen Menge an Mitgefühl. Er windet sich sichtlich, bevor er einen Zettel aus der Jackentasche zieht und mir eine ISBN-Nummer vorlegt: „Habt ihr das da?“
Ein Blick in den Computer reicht. Ich schüttele den Kopf. Nicht nur, dass wir das Buch nicht am Lager haben, ich kenne nicht einmal den Verlag. Garantiert einer dieser ominösen Zwergverlage mit Nischenprogramm, die in diesen Tagen wie Tulpen aus dem Boden schießen.
„Oh Mist, oh Mist, oh Mist“, stöhnt Dirk und zerrt an seinem gelben Mais-Sonnenblumen-Zitronen-Schal. „Ich hätte ihr nicht sagen sollen, dass ich über Weihnachten in der Stadt bin. Nun habe ich den Salat.“
„Ts, ts, ts, das ist aber nicht sehr nett“, grinse ich fiebrig.
„War anders geplant. Hat sich erst kurzfristig ergeben, dass ich doch hier bin“, murrt Dirk unbehaglich. „Insofern hätte ich ihr nur ... verschweigen müssen, dass mein Urlaub geplatzt ist. Kein Tauchen in Palau dieses Jahr. Stattdessen Schneegestöber in Deutschland. Hurra.“
Palau? Wo zum Teufel liegt Palau? Egal. Ungeachtet meiner Bildungslücke tut Dirk mir
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