Winterliebe
Er würde sie eine Weile bei sich wohnen lassen und ertragen, aber eine Dauerlösung war das mit Sicherheit nicht. Er hatte keine Lust, sich so eng an eine Frau zu binden. Das war ja beinahe wie verheiratet sein - und die Ehe war ihm seit seiner Kindheit ein ganz besonderes Gräuel, denn er hatte hautnah miterlebt, was seine Eltern daraus gemacht hatten. Es war die reine Hölle gewesen. Er vögelte Waltraude lustlos, kam heftig zwischen ihren Titten und belohnte sie für ihre Mühe mit einem Briefchen.
35
Hundemüde kam OP-Schwester Claudette nach einem schweren, vierzehnstündigen Eingriff nach Hause. Die Sorgen, der Stress, die innere Anspannung, die lange Konzentration hatten sie fix und fertig gemacht. Sie schlurfte ins Wohnzimmer und ließ sich auf das Sofa fallen. Noch so ein Tag, und sie würde zusammenklappen, das fühlte sie. Sie war an ihrer Leistungsgrenze angelangt. Mehr hatte sie nicht zu bieten. Diese Doppelbelastung war einfach zu viel für sie. Immerzu drehten sich ihre Gedanken um ihre Tochter, die sich mit diesem Verbrecher eingelassen hatte und von ihm systematisch vergiftet wurde. Claudette weinte dem Geld nicht nach, das Gregor Massinger für nichts genommen hatte. Es war eigentlich sehr naiv von ihr gewesen, von einem solchen Menschen auch nur ein Mindestmaß an Seriosität zu erwarten. Tag für Tag und Nacht für Nacht suchte sie nach einem Ausweg aus dieser schrecklichen Misere. Alles Grübeln half nichts, ihr fiel keine Lösung ein. Sie schlief schlecht. Sie arbeitete schlecht. Jedes Mal wenn sie den Operationssaal betrat, konnte sie eine Katastrophe verschulden. Die Angst, zu versagen, saß ihr wie eine eiskalte Faust im Nacken und steigerte ihre Unsicherheit. Claudette atmete schwer aus. Waltraude war wieder einmal nicht daheim.
Wahrscheinlich ist sie bei ihm, dachte Claudette, und sie flüsterte verzweifelt: "Ich wollte, er wäre tot.” Im selben Moment fuhr sie sich entsetzt an die Lippen. "Himmel, was habe ich gesagt?”
Sie hatte zwar allen Grund, Gregor Massinger nicht zu mögen, aber deshalb war es noch lange nicht gerechtfertigt, ihm den Tod zu wünschen. Jemand wie Gregor Massinger war bestimmt nicht sehr beständig. Daran knüpfte Claudette ihre ganze Hoffnung. Vielleicht war er ihrer Tochter bald überdrüssig und wollte von sich aus nichts mehr von ihr wissen. Egal, was die beiden entzweite - Hauptsache es passierte. Und zwar bald. Am besten noch heute, in dieser Stunde. Oh, wäre das ein Freudentag für Claudette gewesen. Nachdem sie sich fünfzehn Minuten ausgeruht hatte, stand sie auf und ging in die Küche. Sie kam an Waltraudes Nachricht, die auf dem Küchentisch lag, vorbei, ohne sie zu bemerken. Matt öffnete sie den Kühlschrank. Was sollte sie essen? Sehr viel Appetit hatte sie eigentlich nicht, hatte sie schon eine ganze Weile nicht mehr. Wen nahm das wunder? Sie aß nur, um wenigstens einigermaßen bei Kräften zu bleiben. Wenn man arbeitet, verbraucht man Energie (mehr, als wenn man den ganzen Tag bloß auf der faulen Haut liegt), und die muss mit Hilfe von Nahrung laufend ergänzt werden. Claudette griff nach zwei Eiern. Rührei, mit einem Stück Schwarzbrot. Das ging schnell und machte satt. Sie legte die Eier auf die Arbeitsplatte, holte eine Teflon-Pfanne aus dem Schrank, stellte sie auf die Ceran-Platte des E-Herdes, schaltete diesen ein und gab ein wenig Schweineschmalz in die Pfanne. "Ich weiß, das ist ungesund”, murmelte sie, "aber dieses eine Mal wird es mir bestimmt nicht schaden.”
Sie schlug die Eier in eine Tasse, würzte mit Pfeffer und Salz, schlug das Ganze mit einer Gabel ordentlich durch und kippte es in die Pfanne, sobald das Schweineschmalz die richtige Hitze hatte. Ein paarmal umrühren - fertig war das Abendessen. Claudette schnitt sich ein Stück Brot ab, tat das Rührei auf einen Teller und setzte sich an den Küchentisch. Sie war so sehr in Gedanken versunken, dass sie Waltraudes Nachricht erst nach dem Essen bemerkte. Erschrocken griff sie nach dem Zettel. Sie las die wenigen Worte und wurde blass. "Nein!” schluchzte sie. "Nein! Kind, was tust du? Dieser Mann ist dein Verderben!”
Die Buchstaben verschwammen vor ihren Augen. Sie weinte und verstand nicht, wieso das Schicksal sie so hart bestrafte. Sie hatte ihren Mann verloren. Sie wollte nicht auch noch ihre einzige Tochter verlieren. Waltraude
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