Wintermädchen
Schule nach Hause (Bauchweh – haha) und verbringe den Nachmittag mit Backen. Emma hatte ihre Mutter dafür eingetragen, was zum Plätzchenverkauf der Schule beizusteuern, und Jennifer ging einfach los und kaufte billige Kekse mit einer widerlichen rot-grünen Glasur. Ich backe Lebkuchenmädchen, jedes mit einem knallrosafarbenen Gipsarm, und dazu ein Dattel-Nussbrot nach dem Rezept von Oma Marrigan. Die Messlöffel wollen mir Zucker und Butter und Teig in den Mund stopfen. Ich stelle mir vor, dass ich gegen die Zutaten allergisch bin: einmal kosten, und meine Lippen und die Zunge schwellen an und ich muss ersticken.
Aus den Resten des Teigs forme ich einen Voodoo-Lebkuchen, ein kräftig gebautes Mädchen mit strohblondem Haar, blauem Kleid und einem schwarzen Loch als Mund. Nach dem Backen lege ich es aufs Schneidebrett und walze es mit dem Nudelholz platt, bis nur noch ein Haufen Staub von ihm übrig bleibt.
Als Emma von der Nachhilfe nach Hause kommt und die Plätzchen riecht, kreischt sie so laut, dass auch noch die restlichen Nadeln vom Weihnachtsbaum fallen. Sie umschlingt mich mit Arm und Gips und drückt zu, wobei sie mir fast die Rippen bricht. Ich erlaube ihr, meine Fingernägel mit derselben Farbe zu lackieren wie ihre, damit wir aussehen wie Zwillinge.
Jennifer ist wegen der Plätzchen leicht verdutzt, und Emma erinnert ihre Mutter daran, dass sie auch für den Verkauf eingetragen ist. Ich biete Jennifer an, sie zu vertreten, was sie noch mehr verblüfft.
Bis zur Abfahrt zum Konzert bleibt gerade noch Zeit für ein Putensandwich (230).
***
Die Park Street Grundschule riecht noch ganz genauso wie damals, als ich dort war: nach warmen, verschwitzten Körpern, billiger Spaghettisoße, Filzmarkern und Papier. Am Schwarzen Brett in der Eingangshalle hängt eine Traueranzeige für Cassie. Das Bild wurde vor ein paar Jahren aufgenommen; damals hatte die Kotzerei ihre Speicheldrüsen noch nicht verätzt und zu zwei walnussgroßen Beulen anschwellen lassen. Beim Betrachten des Fotos beginnt mein Herz heftig zu pochen, aber ich laufe weiter, biege an der Bücherei rechts ab und am Ende des Gangs links. Ihr Bild hängt wirklich dort, keine Einbildung, keine Geistererscheinung. Ihr Vater ist der Direktor dieser Schule und ihre Mutter managt alles andere. Da ist es nur logisch, einen Traueraltar zu errichten.
Emma hüpft davon, um sich mit den anderen hinter der Bühne aufzustellen.
»Bist du sicher, dass du nicht auch ein bisschen zuhören willst?«, fragt mich Jennifer. »Du könntest nach der Pause meinen Platz haben und ich lös dich an der Plätzchentheke ab.«
Mich zu sechshundert mit Videokameras bewaffneten, überhitzten Eltern setzen? »Nein, wirklich nicht. Geh nur. Schau dir die ganze Vorstellung an.«
Sie umarmt mich mit genügend Druck, um meine Rippen aufstöhnen zu lassen. Es passiert so schnell, dass ich nicht vorbereitet bin. Dann lässt sie los, nimmt mein Gesicht in beide Hände und küsst mich auf die Nase. »Du kannst manchmal so süß sein, weißt du das? Du hast echt was gut bei mir.« Sie beugt sich vor und flüstert mir zu: »Ich kann diese Backfrauen nicht ausstehen. Ich könnte schreien, wenn ich sie sehe.«
»Keine Ursache«, sage ich und gebe mir Mühe, unter ihrem Kuss nicht ins Taumeln zu geraten.
Für den Plätzchenverkauf sind in der hinteren Halle vier Cafeteriatische aufgestellt worden. Darauf reihen sich die Teller mit zehn verschiedenen Sorten Schokoladenkeksen. Es gibt sogar welche ohne Weizen, ohne Milch und ohne Eier; die Mütter dieser Schule schauen eindeutig zu viele Kochsendungen. Es gibt Trüffel-Brownies, Zimtwaffeln und Pfefferminz-Fudge. Irgendjemand hat Törtchen in merkwürdigen Geschmacksvarianten gebacken: Granatapfel, grüner Tee, Cranberry, Pistazie und Guave. (Zutatenlisten für Allergiker liegen bei.) Auf dem letzten Tisch, neben der Kasse, stehen zwei Körbe voll Schokobrezeln – in flüssige Schokolade getaucht und in Schokostreuseln gewälzt. Außerdem drei riesige, perfekte Lebkuchenhäuser, die für die stille Auktion bestimmt sind. Eins hat Milchglasfenster aus geschmolzener Zuckermasse.
Die Mütter, mit denen ich zusammenarbeiten werde, stopfen sich Plätzchen in die Münder und lassen die Krümel auf ihre Pullover rieseln.
»Möchtest du ein bisschen Fudge?«, fragen sie und starren auf meine Schlüsselbeine. »Probier mal den Schichtkuchen. Zum Niederknien!«
Ich hätte gern ein Stück Schichtkuchen. Würde mir gern ein Stück Fudge
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