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Wintermaerchen

Wintermaerchen

Titel: Wintermaerchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Helprin
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um den Duft der Blumen zu genießen.
    »Ja, wirklich, ein Gärtner«, antwortete Peter Lake. »Das sind Vorboten der Rauchsäulen. Manche werden eine Meile in die Höhe wachsen, andere werden nicht größer als ein Blatt sein.«
    Sie bogen in eine enge Passage, die zu einem Innenhof mit Garten führte. Ein Eisentor versperrte ihnen den Weg. Es war mit einem Fahrradschloss gesichert, das der Chefmechaniker der Sun schneller knackte, als man es mit dem dazugehörigen Schlüssel hätte öffnen können. Am Ende des Durchgangs war ein Innengarten, der sich in Ost-West-Richtung über zwei Blocks erstreckte. Die Bewohner der Gebäude, deren Wohnungen auf diesen Garten hinausgingen, hatten die trennenden Zäune niedergerissen, um aus dem schmalen Grundstück einen Privatpark zu machen.
    Peter Lake sagte sich, dass es wohl besser wäre, Athansor alleine abzuholen. Er blieb stehen und wandte sich zu seinem Freund um, der sogleich begriff, dass wieder ein kurzer Lebensabschnitt vorüber war. Cecil wollte sich Peter Lake nicht ein zweites Mal so aufdrängen wie zu Beginn des Jahrhunderts, als er ihn gebeten hatte, sein Kürbiskoch sein zu dürfen, und darüber hinaus versprochen, nebenbei Geld als Tätowierer zu verdienen. Er hatte an Peter geklebt, wo immer der auch hinging, obwohl es gar nicht leicht war, mit ihm Schritt zu halten.
    Wenn jemand stirbt, denken die Hinterbliebenen oft: Hätten wir ihn doch nur noch für einen Tag! Wir würden die Zeit so gut nutzen – jede Stunde, ja sogar jede Minute. Cecil Mature hatte seine Zeit mit Peter Lake gehabt, doch nun war sie vorüber. Tränen wären ihm über die Wangen gelaufen, wenn Jackson Mead und Mootfowl ihn nicht gelehrt hätten, das Weinen zu unterdrücken. »Es ist nicht gut für die Verdauung«, hatte Mootfowl mit der Strenge des Leichenbestatters aus Connecticut gesagt, der er einst gewesen war.
    »Alles ist jetzt anders«, sagte Peter Lake. »Für uns geht nun alles zu Ende. Doch du wirst sehen, wenn du schläfst, wird es in dir so aufwallen, dass du nicht mehr weißt, was Traum ist und was nicht. Und wenn schließlich nichts mehr von dir übrig ist, wird dich eine andere Zeit mit Macht überwältigen, eine Zeit, die dich für sich beansprucht – denke an meine Worte! Sie wird nach dir schnappen und dich hinabziehen wie eine Forelle, die nach dem Köder springt – alles ganz plötzlich, alles ganz überraschend, wie etwa Silbernes, das aus der Tiefe emporsteigt. Und dann kommt es dir vielleicht so vor, als würde alles von vorne anfangen, denn es hat nie geendet.«
    »Das verstehe ich, aber einfacher wird es dadurch nicht.«
    »Jetzt musst du dich von mir abwenden und gehen.«
    »Ich kann nicht.«
    »Doch! Irgendwann musst du es tun. Warum also nicht jetzt?«
    Peter Lake lächelte, und Cecil war vielleicht wegen der Verheißung, die er in diesem Lächeln spürte, fähig, sich umzudrehen und zu gehen.
    Jetzt war Peter Lake allein im Garten. Er bewegte sich langsam zwischen den Bäumen hindurch, bis er etwa auf halbem Wege eine kleine Anhöhe erreichte, von der aus er das andere Ende sehen konnte. Dort stand in vollkommener Ruhe, den Blick genau auf ihn gerichtet, sein weißes Pferd.
    In dem Augenblick, da er das weiße Pferd sah, verließen ihn für alle Zeiten die Kräfte, die ihn bis hierher gebracht hatten, und er war nur noch ein Mann mit einer Wunde in der Seite. Auch das Pferd wirkte nicht mehr wie eine große Statue mit muskelstrotzenden Gliedern. Es schien kleiner zu sein und auch nicht mehr ein so guter Kämpfer. Und da war irgendetwas, das einen an einen Gaul erinnerte, der einen Milchwagen zog. Das Tier folgte Peter Lake mit den Augen, und als er um ein Gebüsch herumging, verrenkte es seinen Hals. Als Peter wieder zum Vorschein kam, hatte Athansor die Ohren nach hinten gelegt, den Kopf nach vorne gereckt, und seine rechten Hufe berührten den Boden nur ganz leicht, ganz in der Art, wie er sich manchmal auf die Seite lehnte, wenn er im Sommer Milchkarren zog und am Bordstein unter einer Pferdedusche des Pferde-Schutzvereins anhielt.
    Peter Lake sah Athansor in die Augen. Obwohl der Hengst jetzt kleiner wirkte und seine Wunden und Narben keinen schönen Anblick boten und obwohl man ihn sich gut an einen Wagen angeschirrt vorstellen konnte, hatte er doch noch immer seine runden, vollendet schönen Augen.
    Peter lehnte das Tablett gegen ein paar junge Zweige, die trotzig aus einem zurückgeschnittenen Baumstamm wuchsen. Er saß auf und lenkte den Hengst zu der

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