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Wintermaerchen

Wintermaerchen

Titel: Wintermaerchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Helprin
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Dichtungsmasse, verbanden diese mit einem polypenähnlichen Verteiler, sammelten ihr Werkzeug zusammen und verlegten ein Kabel durch den Tresorraum und die höhlenartige Schalterhalle der Bank.
    Als er die Zuleitungen an den Zünder anschloss, sagte Peter Lake: »Ich hasse es eigentlich, Tresore zu sprengen, aber hier ist höchste Eile geboten, und die kleinen elektronischen Biester lassen uns keine andere Wahl. Gleich werden die Riegel wie Panzergranaten in den Tresor hineingeschossen. Ich hoffe, sie treffen nicht das Tablett.« Er wandte sich Cecil zu: »Kannst du noch Mootfowls Nitro-Gebet?« Cecil nickte. »Dann sage es, und ich zünde.«
    Cecil murmelte etwas von einem Feuerball, Peter Lake legte seine Hand auf den Griff der Zündvorrichtung, fasste sich noch einmal an die Seite und drückte den Hebel nach unten.
    Die Bank wackelte wie bei einem Erdbeben. Über ihnen ging plötzlich ein riesiger Lüster an, und mehrere Tonnen Kristall schwangen hin und her und klirrten protestierend.
    »Das war’s. Sogar die Lichter sind angegangen. Notstromaggregate! Alle Banken haben solche Anlagen. Für Leute wie uns sind sie gerade richtig. Also los!« Sie rannten in das jetzt hell erleuchtete Gewölbe hinunter. »Dreh du die Räder«, befahl Peter Lake. »Ich kann nicht, meine Wunde schmerzt zu sehr.« Cecil drehte an den Rädern, um die Reste der Riegel aus den Halterungen zu entfernen. Dann zogen sie an der riesigen Tür, die perfekt auf ihren hydrantendicken Scharnieren gelagert war. Sie schwang auf. Der Tresorraum lag vor ihnen.
    »Welche Nummer hat das Schließfach?«, wollte Cecil wissen. »Vierzehn achtundneunzig«, antwortete Peter Lake. Er litt unter starken Schmerzen.
    Das Schließfach befand sich in Hüfthöhe, auf der rechten Seite des Tresorraumes. Peter Lake ging zu ihm hin, sank auf die Knie und machte sich an der Kombination zu schaffen. Er beobachtete sich dabei selbst in dem vom Boden bis zur Decke reichenden Spiegel und sah, dass Cecil, rund und dick wie er war, vor Aufregung auf und nieder wippte. Er sah auch, dass sich eine Blutlache auf den Marmorfliesen unter ihm bildete. Trotz des Schmerzes schien er jedoch immer wacher und stärker zu werden. »Geschafft«, sagte er und zog am Riegel. Die Tür öffnete sich, und Cecil zog die Stahlkassette heraus. Sie knipsten das kleine Vorhängeschloss durch und entfalteten das Tuch, in dem das Tablett eingewickelt war.
    Peter Lake hielt es hoch.
    Dies war kein toter Gegenstand! Wie ein gutes Gemälde bewegte es sich, es bewegte sich wie das Licht. In dem für alle Zeiten lebendigen Wechselspiel reiner und unvermischter Metalle, aus denen es gemacht war, glänzte es in tausend Farben, in weißen, blauen, silbernen und goldenen Schattierungen. Ein Feuer ging von ihm aus, das ihre Gesichter beleuchtete.
    »Es lebt«, sagte Peter Lake. »Niemand wird es jemals einschmelzen können.«
    *
    Chelsea war zu einer dunklen und stillen Insel geworden, umzingelt von nervösen Milizsoldaten mit Gewehren und aufgepflanzten Bajonetten. Da Cecil klein und untersetzt war, konnte man ihn beim ersten Hinsehen für einen Short Tail halten, obwohl er weder deren Stupsnase noch ihr vorstehendes Kinn hatte. Die großenteils aus dem Norden stammenden, bäuerlichen Milizsoldaten wussten zwar nicht so richtig, wie ein Short Tail aus der Nähe aussah, waren aber über die Ledertaschen voller Diebeswerkzeug nicht sonderlich begeistert. Doch das Tablett blendete sie, und so ließen sie Peter Lake und Cecil durch.
    Obwohl die Brände enorme Energien freigesetzt und zahlreiche Inversionen warme Luft direkt über dem Boden gestaut hatten (einige Stadtviertel waren daher so heiß wie im Sommer, während anderswo angenehm frühlingshafte Temperaturen herrschten), war es doch noch Winter. Fast wie kalte Strömungen in einem sonst lauen Gewässer schlängelten sich eiskalte Brisen durch die milden Inversionen, ließen Schmelzwasserpfützen wieder zufrieren, machten Bürgersteige eisglatt und verdichteten die Luft über ganzen Straßenzügen zu seltsam brodelnden Barrieren.
    In Chelsea war es warm. Die Bäume trugen Blätter, die Sträucher waren buschiger geworden und drängten sich gegen Eisenzäune oder scharten sich auf Plätzen zusammen. Blumen hatten, selbstbewusst wie Katzen, die in einer Sommernacht im Freien schlafen, wieder von den Blumenkästen Besitz ergriffen.
    »Hier muss ein Gärtner vorbeigekommen sein«, meinte Cecil, der mit leicht geöffnetem Mund die Luft tief in sich hineinsog,

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