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Wintermaerchen

Wintermaerchen

Titel: Wintermaerchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Helprin
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sei ein Licht in ihrem Antlitz entzündet worden.
    Im Winter und im Sommer musste sie mehrmals täglich die Treppe hinauf- und hinabsteigen. Auf dem Weg nach oben ruhte sie sich auf jedem Treppenabsatz aus, bis sie schließlich vor den Stufen einer schmalen Stiege stand, die zu einer Dachluke hinaufführte. Von dort aus ging es weiter über eine Art Feuerleiter mit hölzernen Stufen und eisernem Geländer. Beverlys Plattform ruhte auf einem Stahlgerüst und bildete ein Rechteck von sechs mal vier Metern über dem Dachgiebel. Auf der Plattform schließlich war mit Trossen ein kleines Zelt sicherer als das Gestänge eines Zirkustrapezes verankert. Hier hatte ein Virtuose seines Fachs ganze Arbeit geleistet. Auch der stärkste Wind konnte diesem Zelt nichts anhaben.
    Drei Liegestühle waren so aufgestellt, dass Beverly jeweils einen anderen Ausblick hatte. Je nachdem, woher der Wind blies oder wo die schwache winterliche Sonne stand, konnte sie sich in den einen oder anderen Stuhl setzen. Auf allen vier Seiten der Plattform waren dicke, schwenkbare Scheiben aus Panzerglas montiert, um den Wind abzuhalten. Ein ausgeklügeltes System aus Laufschienen und Flaschenzügen sorgte dafür, dass diese Scheiben bis zu einer Höhe von anderthalb Metern hochgekurbelt werden konnten. Es gab auch eine Art Schrankwand, die so konstruiert war, dass sie jedem Wetter standhielt. Hinter der ersten Schranktür waren so viele Decken und Kissen, dass man damit Napoleons gesamte Armee hätte warmhalten können. Im zweiten Schrank war Platz für drei Dutzend Bücher, einen Stapel Zeitschriften, ein großes Fernglas, eine Schreibunterlage und verschiedene Spiele. (Willa durfte in der warmen Jahreszeit zu Beverly hinaufsteigen und mit ihr Dame oder Mühle spielen.) Hinter der dritten Schranktür fand sich allerlei Gerät wie Thermosflaschen oder Schüsseln, in denen Beverly warme Getränke oder Speisen aufbewahren konnte. Der vierte Schrank enthielt meteorologische Instrumente. Beverly war im Lauf der Zeit eine Expertin geworden, die genaue Wettervorhersagen machen konnte, und sie brauchte dazu kaum Barometer, Thermometer und Windmessgerät. Nützlich waren die Gerätschaften insofern, als sie es ihr erlaubten, sorgfältig alle Daten aufzuschreiben. Außerdem führte Beverly Tagebuch über das Flugverhalten der Vögel, die Baumblüte, Brände im Stadtbereich (Ausmaß und Dauer, Höhe, Dichte und Farbe der Flammen bzw. der Rauchsäule etc. etc. etc.), vorbeifliegende Ballons, Kinder, die Drachen steigen ließen, das Aussehen des Himmels und der Schiffe oder Boote, die den Hudson hinauf- und hinabfuhren. Beispielsweise zog dann und wann ein prächtiges altes Segelschiff vorbei, ein großer, geheimnisvoller Schoner. Die Menschen in der Stadt waren meist so sehr mit sich selbst beschäftigt, dass nur Beverly das Schiff bemerkte.
    Nachts lag sie in ihrem Bett unter freiem Himmel oder in ihrem Zelt. Durch die zurückgeschlagene Plane konnte sie das sternenübersäte Firmament betrachten – nicht zehn Minuten oder ein Viertelstündchen, wie es die meisten Menschen taten, sondern Stunde um Stunde. Sogar leibhaftige Astronomen nahmen den Himmel nicht mit so viel Hingabe in sich auf; sie waren allzu beschäftigt mit Karten, Messungen und anfälligem Gerät von Menschenhand, und ihr Augenmerk galt jeweils nur einer bestimmten astronomischen Fragestellung. Beverly hingegen war aufs Ganze gerichtet, ihre Augen sahen alles. Und anders als Hirten und Treiber oder die rauen, vom Schicksal begünstigten Waldbewohner, die im Freien leben und arbeiten, war sie abends nur selten müde. Die weltentfernten Gestirne gehörten ihr, viele köstliche Stunden lang. In glitzernden Winternächten ließ sie sie in ihrer Einsamkeit wie Geliebte in sich ein. Es kam ihr vor, als schaute sie nicht hinauf, sondern hinaus in die Weiten des Universums. Sie kannte die Namen jedes hellen Sterns und aller Konstellationen. Und obwohl sie ihrem Blick entzogen waren, waren ihr auch viele der unermesslichen Spiralnebel vertraut. Manche sahen aus wie eine wild zerzauste Mähne, von der schon eine einzige Strähne hundert Millionen Welten enthielt. In einem Taumel von Kometen, Sonnen und pulsierenden Gestirnen tranken Beverlys Augen das summende, knisternde, zischende Licht, das diesem Randbezirk unserer Galaxie entströmt, ein immerwährendes Zwielicht, eine graue Dämmerung in einer der vielen Himmelsgalerien.
    Während ihr Gesicht dem bitteren Frost der klaren Nacht ausgesetzt war,

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