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Wintermaerchen

Wintermaerchen

Titel: Wintermaerchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Helprin
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wie jedes Jahr zum Landhaus am Coheeries-See fahren. Beverly hatte vor, an Weihnachten nachzukommen. Bis dahin wäre genügend Zeit, um ihr eine ihren Anforderungen entsprechende Schlaf-Loggia herrichten zu lassen. Außerdem war auf diese Weise gewährleistet, dass sie nach einer langen, anstrengenden Reise einen Haushalt vorfand, der schon gut eingespielt war. Die anderen Familienmitglieder wussten allerdings nicht, dass Beverly insgeheim mit dem Gedanken spielte, ihre Reise im letzten Augenblick telegrafisch abzusagen, denn sie fühlte sich verwirrt und hatte das dringende Bedürfnis, allein zu sein. Falls sie sich jedoch trotzdem für die Reise entscheiden sollte, müsste sie zuerst eine Strecke im Schlitten fahren, dann mit dem Flussdampfer, wiederum mit dem Schlitten und schließlich mit einem Eissegler, bis sie bei dem großen Haus ankäme, das auf einer kleinen Insel unweit des Festlandes in einer weiten Bucht stand. Dort wollte die Familie Penn Weihnachten feiern.
    Isaac, Harry, Jack und Willa (die in ihrem wattierten Anzug wie ein pummeliger Cherubim aussah) sollten schon in den nächsten Tagen abreisen. Vom gesamten Hauspersonal würde nur Jayga zurückbleiben. Doch sobald die Familie fort wäre, wollte Beverly auch sie zu ihrer Familie in Four Points heimschicken. Beverly wusste, dass Jaygas Vater dem Tod entgegensiechte. Sie hatte bei ihrem eigenen Vater durchgesetzt, dass die Posposils von ihm genügend Geld erhielten, um ausreichend versorgt zu sein.
    »Wozu haben wir eigentlich unsere wohltätige Stiftung?«, hatte der alte Isaac eingewendet. »Wir haben es nicht nötig, unser privates Vermögen zu verschenken. Dazu haben wir die Stiftung. Sie arbeitet ganz unabhängig.«
    »Daddy«, hatte Beverly erwidert. »Harry wird sich schon bald selbstständig machen, und Jack auch. Willa ist bestens versorgt, und ich habe nicht mehr lange zu leben. Sag mir, wozu ist also all das Geld gut?«
    Widerstrebend gab Isaac Penn nach. Er wusste genau, dass alles Geld der Welt nichts gegen das Verhängnis vermochte, das über dem alten Posposil und seiner eigenen Tochter schwebte.
    Jayga würde also auch bald fort sein, sodass Beverly für einige Tage in dem leeren Haus allein wäre. Aus irgendeinem Grund, den sie selbst nicht verstehen konnte, war sie felsenfest davon überzeugt, dass ihr etwas ganz Besonderes widerfahren würde, eine unverhoffte Heilung von ihrer Krankheit oder ein plötzlicher Fieberanfall, der ihrem Leben endlich ein Ende bereitete. Aber die Zeit verging, und nichts geschah. Zwei Tage vor der Abreise der Familie begann es zu schneien. Von den Sternen war nachts nichts zu sehen, und selbst der Mond war von einem weißen Schleier verdeckt. Doch Beverly war voller Geduld und Zuversicht. Sie wartete ab. Und tatsächlich klarte es am Tag der Abreise auf.
    *
    Peter Lake hatte so viel über den heiligen Stephan nachgegrübelt, dass er eine Zeitlang religiös wurde und sogar einmal eine Kirche betrat. Vor Schreck wäre er fast ohnmächtig geworden. Bisher hatte er Kirchen nur von außen gesehen, denn Reverend Overweary hatte seinen Knaben nie erlaubt, die kleine silberglänzende Kapelle zu betreten, die er in der Nähe des »morgenländischen« Bungalows von Diakon Bacon hatte errichten lassen. Doch nun schritt Peter mit einem bangen Gefühl den breiten Mittelgang entlang, eingeschüchtert und halb geblendet von der Fülle der grellbunten Farben, in denen das helle Tageslicht die Kirchenfenster erstrahlen ließ. Übrigens hatte sich Peter für die Maritime Cathedral , die schönste Kirche der Stadt entschieden. Sie verhielt sich zur St.-Patrick’s- und zur St.-John’s-Kathedrale etwa so wie die Sainte-Chapelle zu Notre Dame. Die Fenster der Kirche hatte übrigens Isaac Penn gestiftet, und er hatte darauf bestanden, dass auf ihnen die Geschichte von Jonas und dem Wal dargestellt wurde. Schließlich hatte er ja selbst in seiner Jugend viele Wale getötet.
    Da war Jonas: Man sah ihm seine Verblüffung an. Mit weit aufgerissenem Mund erlebte er den Moment, da der Wal ihn verschlingt. Und dann erst der Wal selbst! Das war kein dummer, emblemhafter Fisch mit einem Menschenantlitz und den Augen eines hypnotisierten Vaudeville-Komödianten, sondern ein langes, schwarzes, massiges Tier mit einer monströsen, faltigen Kieferpartie. Seine angegilbten, arg mitgenommenen Barten waren wabig durchbrochen wie ein chinesisches Puzzle, und über und über war das riesige Monstrum mit alten Narben und klaffenden Wunden

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