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Wintermaerchen

Wintermaerchen

Titel: Wintermaerchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Helprin
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bedeckt. Ein Auge war erblindet, und in seinem Fleisch steckte noch ein stählerner Harpunenhaken. Er glitt nicht sanft durch das Wasser wie ein kleiner Silberfisch auf einer Renaissance-Miniatur, sondern er pflügte die Wellen wie ein echter Wal, der die See zu schlagen und zu verwunden versteht.
    Es erstaunte Peter, dass überall in der Kirche sehr schöne Schiffsmodelle standen. Sie schienen durch die dämmerige Kathedrale zu segeln, als befänden sie sich auf einer großen Schifffahrtsstraße. Peter war eigentlich gekommen, um herauszufinden, was es mit der Religion auf sich hatte, denn vielleicht konnte er dann so werden wie der heilige Stephan. Außerdem wollte er für Mootfowl beten. Mootfowls Tod war zwar längst vergessen, aber die wenigen Menschen, die sich gelegentlich noch daran erinnerten, waren fest davon überzeugt, dass Peter ihn umgebracht hatte, und das stimmte ja auch – obwohl sich Mootfowl eigentlich selbst getötet hatte, und zwar auf eine seltsame und ausgefallene Art, die Peter für immer an ihn kettete.
    Jackson Mead, der Brückenbauer, war ein paar Jahre in der Stadt geblieben, halb gefeiert, halb missachtet. Er hatte eine große graue Brücke über den East River konstruiert, leicht, anmutig und mathematisch perfekt. Mootfowl hätte seinen Gefallen daran gefunden. Aber da in der Welt noch viele Brücken gebaut werden mussten, war Jackson Mead eines Tages mit seinen wortkargen Arbeitern und Mechanikern ohne viel Aufhebens verschwunden. Nicht einmal der Einweihung der Brücke hatte er beigewohnt. Es hieß, dass er irgendwo in der Nähe der Grenze neue Brücken konstruierte, in Manitoba, in Oregon oder Kalifornien, aber das waren natürlich nur Gerüchte.
    Peter Lake fragte sich, wie er sich beim Beten anzustellen habe. Mootfowl hatte seine Knaben oft zum Gebet angehalten. Dann waren sie einfach niedergekniet und hatten ins Feuer gestarrt, das hatte gereicht. Hier, in der Maritime Cathedral, gab es jedoch kein Feuer, sondern nur das reine, kalte Licht, das grell und bunt durch die Fenster flutete. Peter kniete dennoch nieder. »Mootfowl«, flüsterte er. »Lieber Mootfowl …« Er wusste nicht, was er sagen sollte, aber seine Lippen bewegten sich tonlos, während er an den Widerschein des Feuers in Mootfowls Augen dachte, an seinen chinesischen Hut, an die starken, schlanken Hände und seine bedingungslose Hingabe an die mysteriösen Dinge, die er in der Verquickung von Feuer, Bewegung und Stahl finden zu können glaubte. Peters Lippen sagten nicht das, was er gern gesagt hätte, nicht, dass er Mootfowl geliebt hatte. Solche Worte brachte er hier nicht über sich, sie erschienen ihm seltsam unangemessen. So schlich er sich denn nach einer Weile aus der Kirche und fühlte sich genauso ratlos und enttäuscht wie beim Betreten des Gebäudes. Was waren das für Menschen, die das Beten als leicht empfanden? Redeten sie wirklich zu Gott, als bestellten sie sich in einem Restaurant etwas zu essen? Jedes Mal, wenn er, Peter, niederkniete, versagte ihm die Zunge den Dienst.
    Peter saß wieder auf seinem Hengst, hoch über dem Pflaster der Straße. Oft kam ihm das Pferd wie ein riesiges Bronzestandbild vor, dessen Aufgabe es eigentlich gewesen wäre, reglos irgendeinen öffentlichen Platz zu bewachen. Aber dieses Pferd war voller Bewegung. Mit leichtem, geschmeidigem Tritt trug es den Reiter dem Park entgegen. Peter hatte eigentlich vorgehabt, an der oberen Fifth Avenue ein paar feine Privathäuser auszukundschaften, aber dann setzte der Hengst eigenwillig in der Nähe der Bethesda-Fontäne an der schmalen Stelle über den See und schlug die Richtung der West Side ein. In der Nähe von Isaac Penns Haus, das Peter nie zuvor gesehen hatte, blieb er stehen. Peter sah von weitem zu, wie der alte Isaac mit Harry, Jack, Willa und dem gesamten Hauspersonal außer Jayga in drei große Pferdeschlitten stieg – das heißt, einer der Schlitten war hoch mit Gepäckstücken beladen. Mit Glockengeläut und Peitschenknall fuhr die kleine Reisegesellschaft davon. Peter stieg ab und beobachtete das Haus, bis es Abend wurde.
    Nach einer Weile setzte sich der Hengst wie ein Hund auf sein Hinterteil. Auch er schien das Haus zu beobachten. Eine Stunde später war es so stockfinster, als hätte jemand die dicke Tür einer Kühlkammer zugeschlagen, und der Wind frischte kräftig auf. Bald sprang Peter von einem Fuß auf den anderen, um sich warm zu halten. Er schlug den Kragen seines Kittels hoch, doch bot auch dieser ihm

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