Wintermaerchen
kaum Schutz gegen die beißende Kälte. Schon wollte er auf das Haus zugehen, aber der Hengst blieb bockig auf seinem Hinterteil sitzen. »Ich bin kein Pferd«, murmelte Peter ärgerlich. »Ich erfriere viel schneller, und außerdem kann ich nicht im Stehen schlafen.«
Die Aussicht, hier langsam vor Kälte zu krepieren, verleitete Peter nicht dazu, seine beruflichen Pflichten zu vernachlässigen. Er vermerkte, dass von den sieben Kaminen bei der Abreise der Familie fünf geraucht hatten. Jetzt waren es nur drei, und Peter ging davon aus, dass auch ihre Rauchfahnen bald verschwinden würden. Aber da täuschte er sich. Gegen sechs Uhr abends begann ein vierter, kurz darauf sogar ein fünfter Kamin zu qualmen. »Vielleicht haben sie ein automatisches Ölfeuerungssystem«, sagte Peter sich. Aber nein, das konnte nicht stimmen, denn nicht einmal ein so großes Haus wie dieses hätte fünf Ölbrenner, höchstens zwei für die Heizung und weitere zwei für die Warmwasserversorung. Nein, der Rauch musste von offenen Kaminen stammen. Ja, jetzt konnte er es riechen. Das waren Holzfeuer! Also musste sich wohl jemand in dem Haus aufhalten.
Um sechs Uhr dreißig ging in einem der Fenster das Licht an. Nach all der Dunkelheit war Peter fast geblendet. Er fühlte sich hier draußen verletzlich und ausgesetzt. Schnell trat er hinter einen Baum. Es war extrem kalt, aber es war trotzdem richtig gewesen, so lange zu warten. Das Licht kam aus der Küche. Sekundenlang sah er durch das Fenster die Silhouette einer Frauengestalt. »Sie haben ein Dienstmädchen zurückgelassen. Ja, so muss es wohl sein«, sagte Peter zu sich. Er gab jedoch nicht auf, sondern wartete weiter, denn er wusste genau, dass in einem Haus allerlei passieren konnte, wenn der Hausherr fort war.
»Es ist ein Mädchen«, sagte er zu dem Hengst. »Ich wette, dass sie einen Schatz hat. Bestimmt kommt er bald, um sich volllaufen zu lassen und tagelang seinen Spaß mit ihr zu haben. Ich habe nichts dagegen. Sobald die beiden splitternackt unter der seidenen Bettdecke des Hausherrn eingeschlafen sind, sehe ich mich im Erdgeschoss ein bisschen nach Wertsachen um.«
Um sieben Uhr zuckte über dem Haus ein heller Lichtschein in den Himmel. Peter Lake dachte zuerst, es sei eine Sternschnuppe oder eine von einem Schiff aus abgeschossene Leuchtrakete, mit der ein Lotse angefordert wurde. Aber es war keines von beiden. Beverly hatte nur die Dachluke geöffnet, die von der Wendeltreppe ins Freie führte. Gleich darauf gingen im Haus noch andere Lichter an. Jetzt lässt sie wohl die Jalousien runter, dachte Peter. Es kann nicht mehr lange dauern, bis ihr Freier leise an die Tür klopft und wie eine Katze durch einen schmalen Spalt ins Haus schlüpft.
Drinnen stieg Beverly in die Küche hinab. Sie setzte sich zu Jayga an den Tisch, um etwas zu essen. Jayga war schon reisefertig. Die beiden Frauen sagten beim Essen nur wenig. Sie waren beide in Männer verliebt, die es nur in ihrer Fantasie gab, und sie teilten jene resignierte Traurigkeit, die von zu viel Träumen und Sehnsucht herrührt. Sie waren insgeheim an die Vorstellung gewöhnt, dass sie bei ihren privatesten Verrichtungen in all ihrer Anmut und Schönheit von einem unsichtbaren Mann beobachtet wurden. Übrigens war es in Jaygas Fall Ansichtssache, ob sie schön und anmutig war, blieb gewissermaßen dem Auge des Betrachters überlassen. Wenn Beverly und sie, jede für sich, eine Näharbeit machten, Klavier spielten oder sich vor einem Spiegel frisierten, taten sie dies jedenfalls immer in stummer, zärtlicher Reverenz vor dem unsichtbaren Geliebten, den sie fast so liebten, als gäbe es ihn tatsächlich.
Während Jayga die Küche aufräumte, bereitete sich Beverly für die Nacht. Heute kein Klavierspiel, kein Schach oder Backgammon, keine Beschäftigung mit Willa und ihren Puppen! Willa fehlte ihr schon jetzt. Das kleine Mädchen sah seinem Vater ähnlich. Noch war Willa nicht wirklich hübsch, aber sie wurde von allen Menschen geliebt, weil ihr unfertiges Gesichtchen so viel Edles hatte. Wirklich ein süßes kleines Mädchen! Und schreien konnte sie! Und kichern! Dieses Jahr würde Willa zum ersten Mal bewusst ein Weihnachtsfest am Coheeries-See erleben, und Beverly überlegte daher immer noch, ob sie nicht doch hinfahren solle.
Plötzlich war sie sehr müde. Sie verabschiedete sich von Jayga, sagte, sie hoffe sie in ein paar Tagen gesund wiederzusehen, und ging dann die Treppe hinauf.
Peter Lake übersah diesmal den
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