Wintermaerchen
hellen Lichtschein, als Beverly die Dachluke öffnete. Er beobachtete aufmerksam, wie unten im Haus ein Licht nach dem anderen ausging. Jayga machte ihren Rundgang. Zuletzt löschte sie auch das Licht in der Küche, trat aus der Haustür, setzte ihren Koffer ab, drehte den Schlüssel im Schloss zweimal um und prüfte mit der Klinke, ob die Tür auch tatsächlich verschlossen war. Dann nahm sie wieder ihren Koffer auf und ging mit schlurfenden Schritten die Auffahrt entlang. Mit einem Blick stellte Peter fest, dass nur noch aus drei Kaminen dünne Rauchfahnen aufstiegen.
Das wäre das, sagte er sich. Es war vier Uhr morgens. Die fünf diensthabenden Polizisten in Manhattan saßen jetzt bestimmt in irgendeinem Bordell am warmen Ofen und warteten auf ihren Vorgesetzten, der einen Stock höher im Bett einer armen, kleinen Nutte aus Cleveland lag, in deren pinkfarbener Federboa schnarchte und seine angezogenen Schenkel eng an das nackte Hinterteil der jungen Prostituierten presste.
Ich knacke die Tür morgen früh um vier, dann bin ich um halb fünf mit dem Silber, dem Bargeld und einem halben Dutzend zusammengerollter Rembrandts wieder draußen, nahm Peter sich vor. Natürlich stellte er sich die Frage, wie jemand eine solche fette Beute unbewacht lassen konnte. Wahrscheinlich hatte der Hausherr das Dienstmädchen als Aufpasserin zurückgelassen. Ja, so musste es sein. Aber jetzt war sie heimlich ausgebüchst. Wahrscheinlich gab es im Haus ein elektrisches Alarmsystem und andere Überraschungen, aber das machte die Sache nur interessanter. Peter fröstelte. Wenn er nicht bald eine heiße Mahlzeit und ein Glas kochend heißen Grog bekam, war es um ihn geschehen. Auch der Hengst brauchte dringend eine tüchtige Portion Hafer und etwas zu saufen, am besten heißen Pferdetee aus Luzerne. Kurz entschlossen saß Peter auf und preschte in gestrecktem Galopp über die verschneiten Wege, dem Lichterglanz und der Musik der Bowery entgegen.
*
Schon von weitem konnte man die Leute in dem auf geröstete Austern spezialisierten Restaurant schmatzen und genüsslich stöhnen hören. Tatsächlich ist eine geröstete Auster ja auch etwas Feines. Sie muss den klaren, etwas stichigen Geschmack der blauen See haben, heißer als siedendes Öl serviert werden und gewissermaßen in ihrer eigenen, knochentrockenen Haut verpackt sein. Dann entlockt sie sogar den verwöhntesten Feinschmeckern ein anerkennendes Grunzen.
Peter Lake versorgte den Hengst und begab sich schnurstracks in das Lokal, einem riesigen Kellerraum mit Wänden aus grauem, unverputztem Stein, mit Gewölben und Arkaden, die an ein Aquädukt aus der römischen Antike erinnerten. An diesem Freitagabend um halb acht labten sich hier sicherlich über tausend Gäste an der Spezialität des Hauses. Eine Heerschar von Kellnern im Jünglingsalter mühte sich in dem Gedrängel, den Wünschen der zahlreichen Gäste gerecht zu werden. Ihre lauten Rufe ließen an ein großes Schiff denken, das von seiner Mannschaft durch eine enge Hafeneinfahrt bugsiert wird. Kerzen, Gaslaternen, vereinzelte elektrische Glühbirnen und vor allem der flackernde Schein vieler kleiner Feuerstellen illuminierten den Saal.
Ein abgehetzter Kellner blieb vor Peter Lakes Tisch stehen, blickte ihn mit zusammengezogenen Augenbrauen an und fragte:
»Wie viele dürfen es denn sein?«
»Vier Dutzend«, erwiderte Peter Lake. »Mit Thymian- und Hickory-Geschmack.«
»Etwas zum Trinken?«, fragte der Kellner.
»Na klar«, erwiderte Peter Lake. »Bring mir einen großen Humpen kochend heißen Grog!«
»Sehr wohl!«
»Und … ach ja – kann man bei euch vielleicht auch zufällig eine schöne gebratene Eule haben?«
»Eine gebratene Eule?«, fragte der junge Kellner verwundert. »Nein, sowas können Sie hier nicht bekommen.« Er drehte sich auf dem Absatz um und verschwand, aber in weniger als einer Minute war er mit vier Dutzend Austern zurück.
Peter Lake machte sich sofort darüber her. Eine Stunde lang schmatzte und grunzte er zufrieden, dann lehnte er sich gesättigt zurück.
»Vor jedem Einbruch lasse ich es mir gut gehen«, sagte er zu einem Rechtsanwalt, der am Nebentisch saß und genau wie er wohlgefällig sein gerundetes Bäuchlein betrachtete und in seinen Zähnen herumstocherte, vor sich auf dem Tisch einen Zinnkrug mit dampfendem Tee. »Es ist doch nur vernünftig, sich in Erwartung großer Entbehrung ein wenig gehen zu lassen und sich vor einem großen Coup etwas zu gönnen, meinen Sie nicht
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