Wintermaerchen
wer, zum Teufel, war Peter Lake?
*
Peter Lake hatte Angst, nichts als Angst, als er kurz vor Weihnachten seinen weißen Hengst, den er nur noch Athansor nannte, unter einem wolkenverhangenen Himmel zum nordwestlichen Ausläufer des Parks lenkte, wo das Haus der Familie Penn stand. Wenn er an Beverly dachte, dann sah er sie nicht wie in jenen Augenblicken der Liebe, da sich ihrer beider Sinne leicht getrübt hatten, vor sich. Er dachte auch nicht so sehr daran, wie sehr sie ihn verändert hatte, seit er sie zum ersten Mal am Klavier lehnen sah, aber nie würde er vergessen, wie sie ihm nachgeblickt hatte, als er sie verließ. Sie stand unten an der Treppe, in einem harten nördlichen Licht, das sich in der weichen, goldenen Fülle ihres zersausten Haares brach. Aus ihren Augen sprach eine unübertreffliche Schlichtheit. Ihre Züge waren ohne Ausdruck, sie verrieten nichts, keine stumme Forderung, keinen geheimen Gedanken, keinen Plan, nicht einmal Zuneigung. Vielleicht war sie so müde, dass sie nur dastehen und Peter gedankenlos anblicken konnte. In jenem Augenblick gab es keine Schranken zwischen ihnen. Für alle Zeiten sollte sich Peter an sie erinnern, wie sie allein unten an der Treppe stand und sich anschickte, dem kalten Licht entgegenzugehen, das gegen ihr Haar brandete.
Beverly!
Das Haus, in dem sie lebte, passte nicht zu dieser hinreißenden Einfachheit. Es war vielmehr ein Paradebeispiel für launischen, humorvollen Einfallsreichtum und stärker als der Rumpf einer gekenterten Arche. Es verschanzte sich hinter allerlei Hindernissen, aber es war auch einladend wie der grüne Adventskranz, der an der Eingangstür hing; welche im Übrigen blassblau gestrichen war, fast grau. Hätte Pearly sie in seinem Farbenwahn erblickt, er wäre stehen geblieben.
»Ich weiß, wie solche Dinge ausgehen«, sagte Peter halblaut zu dem Kranz an der Tür. »Es war zu schnell, viel zu schnell. Gewiss wird es ihr furchtbar peinlich sein, mich wiederzusehen. Vielleicht schaut sie mich nicht einmal an. Oder sie wird so wütend, dass ich in ein paar Minuten wieder auf der Straße stehe.«
Die Tür schwang nach außen auf. Das war ungewöhnlich. Mit einem Blick auf Peters erstauntes Gesicht sagte Jayga, das Dienstmädchen: »Mr Penn meint, Türen sollten nach außen aufgehen wie bei einem Papageienkäfig oder so ähnlich. Ich weiß nicht genau, was er damit meint, aber so ist es eben. Sie wünschen?« Sie musterte Peter mit einem flüchtigen Blick von Kopf bis Fuß und fügte hinzu: »Wir haben keinen Dienstboteneingang.«
»Beverly!«
Jayga blickte hierhin und dorthin. »O Gott! entfuhr es ihr, und dann, als könne sie das Rad der Zeit zurückdrehen, fragte sie wieder: »Sie wünschen? Wir haben keinen Dienstboteneingang.«
»Beverly!«, wiederholte Peter mit ruhiger Stimme.
»Beverly wer ?«
»Beverly Penn.«
»Miss Beverly Penn? Die Miss?«
»Miss Beverly Penn«, äffte Peter Lake sie nach. »Die Miss!«
»Sie?« , fragte die verblüffte Jayga. »Sie sehen nicht aus wie einer dieser jungen Herren aus Harvard!«
»Bin ich auch nicht! Ich bin eher ein Mensch wie Sie, verstehen Sie?«
Die furchtbar verstörte Jayga führte ihn hinauf zum Dach, wo Beverly in einem Liegestuhl lag, das Gesicht den Wolken zugewandt. Auf der windgeschützten Plattform war es fast warm. Beverly wirkte ausgeruhter und kräftiger als am Tag, an dem sie sich kennen gelernt hatten. Sie hatte etwas von der ruhigen Teilnahmslosigkeit der grauen Wolken, die tief über der Landschaft hingen. Wie schön sie war! Für Peter verkörperte sie in diesem Augenblick all die Kraft und Selbstsicherheit, wonach er sich, der er doch ständig auf der Flucht war, am meisten sehnte. Beverly vermittelte ihm das Gefühl, als sei der Kampf endgültig überstanden. Zum ersten Mal erweckte sie in ihm den Wunsch zu heiraten. Peter freute sich beim Gedanken daran, was für ein schönes Paar sie abgeben würden. Dies und vieles andere schoss ihm durch den Kopf, nachdem er nur einen einzigen Blick auf Beverly geworfen hatte.
Jayga ließ die beiden allein. Verwirrt und ratlos, wie es dienstbare Geister bisweilen stellvertretend für ihre Herrschaft sind, stieg sie die Treppe hinab. Oben auf dem Dach setzte sich Peter Lake Beverly gegenüber auf einen ungepolsterten Liegestuhl. Sein dunkelgrauer Wintermantel hatte Knitterfalten. Hätte er einen Hut getragen, er würde ihn abgenommen haben. Aber Peter trug keine Hüte.
Wie eine stetig wachsende Spannung war die
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