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Wintermaerchen

Wintermaerchen

Titel: Wintermaerchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Helprin
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Sie nicht schön sind, sondern …«
    »… sondern was?«, unterbrach sie ihn, halb flehend, halb empört.
    »Ich bin in dieses Haus eingebrochen«, sagte Peter kopfschüttelnd. »Ich kam, um zu stehlen!«
    »Wenn Sie mich jetzt nicht nehmen und lieben, dann werde ich es nie erleben«, sagte sie. »Ich bin achtzehn, aber ich bin noch nie auf den Mund geküsst worden! Ich kenne ja kaum jemand, verstehen Sie? Es tut mir leid, aber ich habe nur noch ein Jahr …« Beverly schloss die Augen. »Vielleicht noch eineinhalb Jahre, wenn der Doktor aus Baltimore Recht hat. In Boston gab man mir nur sechs Monate – und das war vor acht Monaten. Ich bin also schon seit zwei Monaten tot.« Beverlys Stimme wurde zu einem Flüstern. »Sie können mit mir machen, was Sie wollen.«
    »Genau das werde ich tun«, sagte der mutige Peter Lake kurzentschlossen. Er setzte sich auf den Bettrand, beugte sich zu dem Mädchen nieder und schloss es in seine Arme. Als er Beverlys Haar und Stirn mit Küssen bedeckte, war sie anfänglich schlaff und willenlos, wie jemand, dessen Herz gleich zu Beginn eines Sturzes aus großer Höhe ausgesetzt hat.
    Mit Zärtlichkeit hatte Beverly nicht gerechnet. Sie war verwirrt und wusste nicht, wie ihr geschah, als Peter ihre Schläfen, ihre Wangen und ihr Haar küsste, während er zugleich sanft ihre Schultern streichelte, als liebkose er eine Katze. Sie schloss die Augen und begann leise zu weinen. Willig überließ sie sich den Tränen, die unter dem dunklen Vorhang ihrer Augenlider hervorquollen.
    Beverly Penn, diese junge Frau, die über den Mut eines Menschen verfügte, den das Leben schon oft mit Dingen von großem Gewicht konfrontiert hatte, war nicht darauf gefasst gewesen, dass ein anderer Mensch so sein könnte wie sie selbst. Peter Lake schien sie in derselben Weise zu lieben, wie sie selbst all das liebte, was sie bald unweigerlich verlieren würde. Wie er sie küsste, wie er sie streichelte, wie er zu ihr sprach! Ja, Beverly staunte über das, was er ihr erzählte. Er erzählte ihr von der Stadt, als wäre sie eine lebendige Kreatur, bleich und rosig, mit einem Leib, mit Blut in den Adern und mit einem Mund. Er beschrieb ihr den Frühling in der großen Stadt, er beschwor das Bild von ruhigen, dämmerigen Alleen voller Blumen, beschützt vom Laubdach der Bäume.
    »Die Prince Street zum Beispiel, sie lebt wirklich! Ich habe mit eigenen Augen gesehen, dass sie atmet. Die Häuser sind dort so rosig wie Fleisch.« Peter schien über diese Feststellung selbst erstaunt zu sein. Aber dann erzählte er stundenlang, während Beverly bequem zurückgelehnt auf den Kissen ruhte. Ganz entspannt hörte sie ihm zu, und ihr Gesicht lächelte. Sie genoss es, in seiner Gegenwart nackt zu sein. Peter sprach von Bergen, Hügeln und Gärten. Was er sagte, war zugleich zart und stark. Lange bevor er ausgeredet hatte und erschöpft verstummte, hatte Beverly sich schon in ihn verliebt. Ihr Fieber hatte so weit nachgelassen, dass sie sich plötzlich bewusst wurde, wie kühl es in diesem Zimmer war.
    In der wohligen Stille horchte Peter in sich hinein. Ein hoher, singender Ton erfüllte seinen Kopf. Als er sich vorbeugte, um Beverlys Brüste zu küssen, überkam ihn die Begierde mit anmutigem Elan. Beverly ließ ihn gewähren. Bis in die kleinste Einzelheit hatte sie sich ausgemalt, wie sie sich zueinander hindrängen und sich finden würden, aber die Kraft und die Hingabe, mit der sie sich nun vereinten, überstiegen alles, was sie sich vorgestellt hatte. Es war, als wären sie tausend Jahre lang getrennt gewesen und würden erst nach einem weiteren Jahrtausend wieder zusammenkommen. Doch hier lagen sie nun Brust an Brust und überließen sich engumschlungen diesem kurzem Traum, dieser wirbelnden Wolke, die ihre Körper leicht machte.
    Später, wenn Beverlys Fieber zurückkehren und sie mich in ihrem Delirium bitten wird, sie zu heiraten, dann will ich schnell darauf eingehen, bevor sie es sich anders überlegt, nahm sich Peter vor. Aber wie soll ich es Mootfowls Geist erklären? Beverly hat nicht mehr lange zu leben, so viel steht fest. Und ich, Peter Lake, denke an das Geld.
    Aber dann hatte Peter weinen müssen. Beverly, schon halb im Schlaf, merkte nichts. Am nächsten Morgen, als er schon fort war, stand sie lange reglos unten an der Treppe. Ihr war, als wären auf jenem großen weißen Bett ihre letzten Kräfte in Peter hinübergeflossen, in völliger Gleichgültigkeit hatte er sie mit sich genommen, obwohl er

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