Wintermaerchen
vorweihnachtliche Stimmung, die in der Stadt herrschte, bis hierher zu spüren, aber der Friede wurde durch sie nicht getrübt. Und dann geschah etwas, wovon Männer und Frauen manchmal träumen: Beverly und Peter führten ein komplettes Gespräch, ohne ein einziges Wort zu sagen, ein Gespräch mit Empfindungen, Mitteilungen, Ausrufen, scherzhaften Bemerkungen, Überlegungen, Gelächter und Wunschvorstellungen – in rascher Folge, stumm, unerklärlich. Nicht nur ihre Augen, ihr ganzes Gesicht geriet in Bewegung, als huschte Sonnenlicht über eine geriffelte, von klarem Wasser überspülte Sandbank.
Seltsam, wie mühelos sie diese stummen Mitteilungen verstanden! Ja, sie waren entzückt vom Bild des anderen im hellen Licht des Tages, hier oben im Freien. Ihre Schönheit empfingen sie als ein Geschenk, das alle Erwartungen übertraf. Sie gestanden sich ihre Liebe und beschlossen, Mann und Frau zu werden. Was nützt es, sich den Kopf über irgendwelche Vorbehalte oder Hindernisse zu zerbrechen, wenn Beverly höchstens noch ein Jahr zu leben hat, dachte Peter und brach das Schweigen. » Mouquin’s ? Ich kann mich bei Mouquin’s nicht sehen lassen.«
»Ich will aber!«, erwiderte Beverly, ohne den Einwand zu beachten. Sie erhob sich, und als sie nebeneinander die Treppe hinuntergingen, redete sie unbekümmert auf ihn ein: »Ich könnte ein Kleid meiner Mutter anziehen. Ihre Sachen sind jetzt wieder der letzte Schrei. Ich denke da besonders an ein blauweißes aus Seide …«
»Großartig«, fiel ihr Peter Lake ins Wort, »wirklich sehr schön, aber …«
»Es heißt, Mouquin’s sei ein gelbliches Gebäude aus Holz, das von außen wie ein gewöhnliches Gasthaus wirkt. Aber innen ist ein französischer Ballsaal, mit Balustraden aus Marmor, großen Blumentöpfen, in denen Farne wachsen, einem Orchester und vielen Leuten, die aus- und eingehen oder miteinander tanzen. Sie tanzen, als wären sie allein, wie Liebende. Und alle sind ganz groß in Schale, wie mein Vater sagen würde. Mouquin’s ist so herrlich und wunderbar, meint er, weil es einen Schuss Traurigkeit hat.«
»Traurig fürwahr!«, bestätigte Peter. Er nahm auf einem mit braunem Samt bezogenen Sofa in der Bibliothek Platz. »Besonders für mich. Ich kann nicht zu Mouquin’s. Es ist sozusagen Pearly Soames’ Wohnzimmer.« Dann erzählte er, wie Pearly gelobt hatte, ihn mit einem Schwert zu durchbohren, und wie er trotz seiner Ungeschicklichkeit und Banalität – Pearly stieß sich überall den Kopf an, überall stolperte er oder quetschte sich die Finger zwischen Tür und Rahmen – beharrlich an seinen Gelübden festhielt und auf diese Weise am Ende die außergewöhnlichsten Leistungen vollbrachte. »Weißt du, ich bin bei Mouquin’s gewesen, und es war nichts Besonderes. Zumindest lohnt es sich nicht, dafür zu sterben.«
Beverly lehnte sich zurück und schloss die Augen. Die Wärme machte sie müde und streitlustig zugleich, was ihr gut stand. Mouquin’s erschien vor ihrem inneren Auge wie eine Vision, wie eine Art Paradies en miniature, das sie nur betreten musste, um ein Wunder zu erleben. Ein Tanzabend bei Mouquin’s, sagte sich Beverly unverzagt, kann vielleicht die Krankheit austreiben. Warum soll es nicht möglich sein, dass die Zeit einen Vorhang der Schönheit über mein Dasein senkt, auf dessen anderer Seite es kein Fieber gibt und Liebende für immer vereint sind? Was zählt da schon Peter Lakes Streit mit diesem Pearly Soames?
»Ich kann mir nicht vorstellen«, sagte sie laut, »dass Pearly sich an dir vergreifen würde, während du mit mir tanzt.«
»So?«
»Ja, ich fühle ganz genau, dass du mit mir überall sicher bist, sogar bei Mouquin’s , sogar in Pearlys Schlafzimmer, sogar in der finstersten Gruft! Warum das so ist, weiß ich nicht.«
Peter Lake war erstaunt – nicht nur darüber, dass sie sich anmaßte, ihn beschützen zu können, sondern auch darüber, dass er ihr Glauben schenkte. Sicherheitshalber antwortete er ihr jedoch: »Ich möchte deine Macht lieber nicht auf die Probe stellen.«
»Ich will aber zu Mouquin’s !«, schrie Beverly so laut, dass Jayga in der Küche aufsprang und sich den Kopf an einer Pfanne stieß, die über ihr an einem Haken hing. Da sie ihrem Schmerz nicht durch einen Schrei Luft machen durfte, vollführte sie einen langen, stummen Indianertanz.
»Niemand wird dir dort etwas zuleide tun, das sage ich dir!«, fuhr Beverly fort. »Für mich ist es viel riskanter, in steifer Kleidung unter
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