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Wintermaerchen

Wintermaerchen

Titel: Wintermaerchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Helprin
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kleinen Kirchen.
    Als das Schiff Riverdale passiert hatte, erhoben sich Peter und Beverly. Gemeinsam traten sie hinaus aufs Deck und ließen den Blick über die Wildnis schweifen, über das felsige, schneebedeckte Steilufer, über glitzernde, vereiste Bäume und das bis an den Horizont reichende hügelige Hinterland.
    Bei Ossining weitete sich der Fluss zu einer schönen, stillen Wasserfläche, doch die Croton-Bucht war fast gänzlich von einer dicken Eisschicht bedeckt. Im Norden erhob sich ein stolzes Gebirge. Das östliche Ufer war von Wäldern gesäumt, hie und da gab es aber auch Felder und Obstgärten, an deren Rand, im Windschatten von Hügeln, einladende Häuser standen. Sie waren so stattlich, dass Peter und Beverly auf Deck blieben, obwohl die Haut ihrer Gesichter bald vom Wind gerötet und vor Kälte ganz fühllos war.
    Die Haverstraw-Bucht war schiffbar, aber im Fahrwasser trieben riesige Eisblöcke. Wenn sich der mit Eisenplatten bewehrte Bug der Brayton Ives in ein Wellental hinabsenkte und gegen einen dieser Brocken krachte, dann klang es, als rollten zehntausend Glocken eine Treppe hinunter. Das passte gut zu dem steifen Wind von vorn, zum Stampfen und Rollen des Schiffes und zu der in unregelmäßigen Abständen tutenden Dampfpfeife. Peter und Beverly, deren Gesichter im rauen Nordwind wie Feuer brannten, schauten zu, wie das Schiff eine große weiße Scholle nach der anderen in kleine Splitter zertrümmerte oder einfach in zwei Teile brach.
    Sie verbrachten eine unruhige Nacht, die begleitet war vom Krachen und Bersten des Eises. Sie träumten, dass sie die Erde wie Engel im Flug umrundeten, mit weit ausgebreiteten Armen. Manchmal wehten Rauchschwaden durch das offene Bullauge in die Kabine und brannten ihnen in den Augen, doch verflüchtigten sie sich rasch. Gemeinsam schwebten die beiden im Traum hoch über dem Meer oder ließen sich vom Wind über einen dunklen Gebirgszug tief in Zentralasien tragen.
    Als sie erwachten, fühlten sie sich so ermattet, als hätten sie ihre Lebenskraft an den Kampf gegen das Eis verschwendet. In den frühen Morgenstunden war das Thermometer auf fast zwanzig Grad unter null gefallen. Oben an Deck war alles in heller Aufregung.
    »Was können wir noch verfeuern?«, brüllte der Kapitän auf der Brücke.
    »Eiche und Kiefer, Sir!«, lautete die Antwort, die von einem Matrosen auf dem Vorschiff kam. »Und eine Ladung Mahagoni«, fügte der Mann nach kurzem Nachdenken hinzu.
    »Nehmt zuerst das Kiefernholz, dann legt Eiche nach! Wenn wir dann noch immer nicht vollen Druck in den Kesseln haben, verheizt meinetwegen das verdammte Mahagoni! Wir werden dafür bezahlen.«
    Die Brayton Ives hatte Conn Hook erreicht. Der Fluss wirkte an dieser schmalen, geraden Stelle wie eine Straße, die mit glattem Marmor gepflastert war. Hier gab es nur eines: Der Raddampfer musste sich wie ein großer mechanischer Vogel, der flügelschlagend von einem Teich abhebt, mit vollem Tempo auf die Eisfläche schieben, die dann unter dem enormen Gewicht des Schiffes vielleicht zerbrechen würde. Dies war keine simple Flussschifffahrt mehr; hier wurde gegen den Winter Krieg geführt.
    Der Dampfer setzte in dem von Eisschollen bedeckten Fahrwasser, durch das er sich soeben erst einen Weg gebahnt hatte, eine Viertelmeile zurück. Unterdessen hatte die Mannschaft eine lange Kette gebildet. Von Hand zu Hand wanderten die Holzkloben nach hinten zum Kessel. Ein brüllendes Feuer, hell wie Sommerglut, wurde entfacht. Der Dampfdruck stieg. Schon bald erreichte die Nadel des Manometers die rote Gefahrenzone. Mit zusammengekniffenen Augen starrte der Erste Heizer auf das Instrument. Er hielt den Atem an, doch dann kam das Signal Volle Fahrt voraus . Ob die Maschine diese Überbelastung wohl aushält, fragte sich der Mann. Oder wird unser Schiff mitten auf dem Fluss in die Luft fliegen?
    Das Getriebe rastete ein, Pleuelstangen setzten sich in Bewegung, und die Welle drehte sich bald so schnell, dass sich das klebrige Schmierfett an den Lagerstellen verflüssigte, obwohl ein paar Schiffsjungen eimerweise kaltes Wasser darüberkippten. Die großen Schaufelräder peitschten den Fluss, und das zerstäubte Wasser bildete einen dunstigen Schleier um sie. Die Brayton Ives legte die Viertelmeile mit der Geschwindigkeit einer Kanonenkugel zurück. Mit voller Wucht prallte sie auf die Eisbarriere, ließ sich aber nicht aufhalten. Der Bug hob sich aus dem Wasser, und dann schlidderte das Schiff auf seinem Kiel noch ganze

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