Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wintermaerchen

Wintermaerchen

Titel: Wintermaerchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Helprin
Vom Netzwerk:
mehreren Schichten Stoff in einer Kutsche zu fahren, zu tanzen, zu trinken und in einem warmen, von Lärm erfüllten Raum zu sitzen. Pearly wird dich nicht antasten.«
    Er glaubte ihr. Wenn sie müde war, verhielt sie sich rätselhafter als ein Orakel. Dann hatten ihre Worte die Unumstößlichkeit von einem Urteil, sie waren voller Nachdruck, Selbstbezogenheit, gesprochen wie im Rausch.
    Beverly ließ sich erschöpft zurücksinken. Peter hörte nur den Hauch ihres Atems, das Pendel einer Standuhr und entfernte, gedämpfte Geräusche aus der Küche. Mit Beverly bei Mouquin’s zu tanzen, das hieße vielleicht, den Spieß umzudrehen. Pearly würde kopfstehen! Und wenn nicht? Dann wäre es wenigstens ein guter Abgang. Peter würde viel Champagner trinken, all die Schönen und die Reichen und die, die es gern wären, würden zu Zeugen seines Endes. Was soll’s, sagte sich Peter. Das Leben erhält durch die Unberechenbarkeit seine Würze.
    »Also gut«, gab er nach. »Ich werde mit dir zu Mouquin’s gehen. Aber lass uns bis Silvester warten. Dann ist dort der Teufel los.«
    »Einverstanden«, erwiderte Beverly. »So bleibt uns Zeit, vorher zum Coheeries-See zu fahren. Meine Familie ist dort. Ich möchte meinen Vater und Willa sehen. Du sollst sie kennen lernen.«
    Ihre Stimme war ganz leise geworden, sie schien von weither zu kommen. Peter fragte sich verwundert, was ihn zu dieser hübschen jungen Frau zog, die oft so redete, als zitierte sie aus ihrem eigenen Testament. Er hatte keine Vorstellung, wohin dies alles führen sollte. Er wusste nur, dass er sie liebte.
    »Zum Coheeries-See?«, sagte er. »Nun gut, dann also zum Coheeries-See!«
    »Ich bin so glücklich!«, sagte Beverly kaum hörbar.
    *
    Eine kleine Tanne war mit einem Tau oben am hohen schwarzen Schornstein des Dampfers festgebunden worden, der flussaufwärts nach Albany weiterfahren sollte. Der stetige Fahrtwind hatte die Zweige der Tanne nach hinten gebogen – aber ein Weihnachtsbaum war sie trotzdem.
    Peter Lake und Beverly fuhren durch eine Ladeluke in den dunklen Bauch des Schiffes. Dort fand Athansor neben drei weiteren Pferden einen bequemen Platz in einem richtigen Stall. Kaum war der Schlitten festgezurrt, da wurde die Lichtmaschine an die sich im Leerlauf drehende Dampfmaschine angekuppelt, und die Glühbirnen flammten auf. Peter Lake und Beverly Penn, er in seinem dunkelgrauen Mantel, sie umhüllt von einem weichen Zobel, der gewiss ein kleines Vermögen gekostet hatte, standen sich in der plötzlichen Helligkeit gegenüber. Dann vergewisserte sich Peter, dass Athansor gut versorgt war, und führte Beverly hinauf zu ihrer Kabine, das heißt, eigentlich ließ er sich von ihr führen, denn sie hatte diesen Weg schon hundertmal zurückgelegt.
    Die Kabine der Penns bestand aus zwei übereinanderliegenden Räumen. Der untere war mit einem großen Esstisch, einem richtigen Bett, mehreren fest eingebauten Kojen, einem Schreibtisch und einer Sitzgruppe möbliert. Über dem Tisch hing an der Decke eine kardanisch aufgehängte Öllampe. Nach der Elektrifizierung des Schiffes war sie dort auf Isaac Penns Bitte belassen worden. Nebenan gab es ein komplett eingerichtetes Badezimmer. Die obere Kabine enthielt eine weitere Koje und ein paar Ledersessel, die so standen, dass man durch das Bullauge bequem nach Steuerbord blicken konnte. Da das Schiff um die Mittagszeit flussaufwärts weiterfahren sollte, würde sich ihnen auf Steuerbord im Schein der sinkenden Sonne ein besonders abwechslungsreicher Ausblick bieten.
    »Dies sind also unsere Kabinen«, sagte Beverly. »Die Brayton Ives transportiert Zeitungspapier für die Sun von Glens Falls nach New York. Dank der Zeitung geht es den Eignern des Schiffes gut, und deshalb stehen diese Räume unserer Familie ständig zur Verfügung. Wir müssen dafür nur so viel bezahlen wie für eine normale Kabine. Es ist alles ein wenig beengt, aber was macht das schon. Früher, als wir Kinder waren, schlief ich oft mit Harry in derselben Koje. Damals pflegten immer so viele Penns zu dem Haus am See zu fahren, dass die Schlafplätze samt und sonders belegt waren.«
    Das Schiff löste sich vom Pier und fuhr hinaus ins eisfreie Fahrwasser. Ohne die Mäntel auszuziehen, ließen sich Peter und Beverly auf eines der Betten fallen. Sie küssten und liebten sich bis Riverdale. Trotz des lauten Stampfens der Maschine vernahmen sie aus der Ferne vom Ufer der oberen West Side die verwehten Klänge von Blaskapellen und Chorgesang aus

Weitere Kostenlose Bücher