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Wintermaerchen

Wintermaerchen

Titel: Wintermaerchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Helprin
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wusste, dass sie ihm alles gegeben hatte. Als er sie verließ, war er in Gedanken bei Drehbänken, Maschinen, komplizierten Messungen und äußerst präzise gearbeiteten Werkstücken, mit Oberflächen so glatt wie Glas oder poliertes Messing.
    Gewiss, er war in sie verliebt, aber die Tatsache, dass sie Isaac Penns Tochter war, ließ ihn nicht unberührt. In seinem Inneren gab es zwei verfeindete Lager, die verbissen miteinander kämpften. Mootfowl, im lichtüberfluteten Bereich am Rand dieses lebenden Gemäldes, schien sich darüber zu amüsieren, dass Peter Lake eine schwere Schuld auf sich geladen zu haben glaubte. Sein Gelächter vom Sims des hellen, bunten Fensters am Grenzbereich der Vision herab legte dem verblüfften Peter nahe, dass dem nicht so war.
    *
    Peter sah eine seltsame weiße Wolke. Rasch bewegte sie sich auf die gezackte, hoch aufragende, vom Sonnenuntergang golden überglänzte Silhouette der Stadt zu. Bald umschwebte diese Wolke die schlanken Türme, ständig ihre Form verändernd wie ein launischer Geist. Peter begriff. Es waren Tauben, Millionen Tauben, eine im Widerschein der glatten Fassaden leuchtende Wolke aus Tauben! Wie die Partikel einer verwehten Rauchfahne umschwebten sie dort oben die zerklüfteten Konturen der Stadt, eine einzige riesige Schar, dem Wind überlassen wie Insekten, Papierschnipsel, Schneeflocken oder Staub. Die Stadt würde sich dieser Tauben annehmen, dessen war sich Peter gewiss. Diese Stadt war wie ein magisches Tor. Wer hindurchging, war erfüllt von unschuldiger Sehnsucht, von Hoffnung und Mut. Es gab keine andere Wahl, als sich diesem Traumgebilde von Menschenhand anzuvertrauen. Ja, die Stadt war ein Traum, aber sie hatte die geballte Kraft einer Maschine. Festgefügt und selbstsicher schimmerte sie über das glitzernde Eis.
    Peter Lake ließ sich zurücksinken. Er hatte sich damit abgefunden, dass er sich nicht an die Farbe von Beverlys Augen erinnern konnte. Eines Tages, wenn ich sie wiedersehe, sagte er sich – doch da überfiel es ihn plötzlich: Er fühlte sich im Brennpunkt von tausend Blitzen, die ihn in die Höhe schleuderten. Überall war Blau, elektrisierendes Blau, feuchtglänzendes, warmes Blau, Blau ohne Ende, ein Blau, das ihn aufschreien ließ:
    »Blau, blau, ihre Augen sind blau!«

Der Coheeries-See
    I m Winter herrschte am Coheeries-See Belagerungszustand. Ganze Geschwader arktischer Wolken luden ihre Schneelast über der Gegend ab. Von September bis Mai regierte grimmiger Frost. Inmitten dieser vom Winter belagerten Landschaft duckte sich ein kleines Städtchen, das so hieß wie der See, an dem es lag, unter die Schneemassen. Verglichen mit der schier endlosen Fläche des zugefrorenen Sees, von dem manche Leute behaupteten, er reiche bis China, hatte jene Ansammlung menschlicher Behausungen die Ausmaße einer Schuhschachtel.
    Bis Mitte Dezember schluckte der See den Schnee, der vom Himmel fiel. Wenn er dann endlich zugefroren war, trieb der Wind den Schnee vor sich her über die Eisfläche und türmte ihn zu Wechten auf, die höher waren als die Uferböschungen der meisten Flüsse. Dieses Labyrinth wurde durchzogen von schmalen Tälern, die immerhin breit genug waren, um von Eisseglern befahren zu werden; oft sah man nur die Mastspitzen dieser Kufenfahrzeuge. Von Zeit zu Zeit stieg irgendein tapferer Ballonfahrer auf. Aus geringer Höhe zeigte er einem Trupp mit Schneeschaufeln bewaffneter Männer, wo die Wände des weißen Labyrinths durchstoßen werden mussten, um den Eisseglern auf ihrem Weg von einer Seite des Sees auf die andere einen geraden Kurs zu ermöglichen. Meist schloss der Wind diese Lücken schon nach wenigen Tagen, sodass die Leute am Steuer der Eissegler sich wieder auf ihr Gespür oder auf die Zurufe anderer Bootsbesatzungen verlassen mussten. Notfalls hielten sie auch an, erkletterten den Kamm einer weißen Düne und blickten sich suchend um. Spätestens im Januar, wenn der Winter in seiner ganzen Strenge hereinbrach, lag der See unter einer dicken Schneeschicht begraben und konnte dann nur noch im Pferdeschlitten befahren werden.
    In diesem Jahr lag der Coheeries-See im Dezember noch in makelloser Glätte da, blank wie ein Spiegel. Die Eissegler flitzten darauf wie Schwalben hin und her, und ihre Kufen ritzten die makellose Scheibe aus Eis wie Glasschneider.
    Mit achtzig Meilen in der Stunde war die Familie Penn über den See gebraust. Der kleinen Willa hatte es vor Staunen die Sprache verschlagen. Isaac Penn, auf dessen

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