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Wintermörder - Roman

Titel: Wintermörder - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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Absperrung.
    Eine unerklärliche Aufregung breitete sich in Denise aus. Ihr Körper war plötzlich angespannt. Sie konnte ihre Hände und ihre Füße nicht mehr spüren. Ihr war eiskalt.
    »Was ist los?«, fragte sie, als Kadow zu ihr zurückgekehrt war.
    »Sie haben jemanden aus dem Wasser gezogen.«
    Für einen kurzen Moment war Denise sicher, dass es Frederik war.
    »Wen?«
    »Einen Mann. Vielleicht war er betrunken. Bei diesen Temperaturen überlebt das keiner.«
    »Wie schrecklich«, antwortete Denise. »Lassen Sie uns umkehren.«
    »Kommen Sie«, sagte Kadow. »Ich bringe Sie ins Hotel zurück. Sie sind völlig durchgefroren und erschöpft. So können Sie Ihrem Sohn nicht helfen.«
    Zurück im Hotel rief sie sich die Ereignisse des Tages noch einmal ins Gedächtnis. Alles hatte mit dem Brand in dem Einkaufszentrum angefangen. War es der erste Racheakt des Mannes gewesen, der sich entschlossen hatte, ihre Familie zu quälen? War der Brand in dem Zentrum nur das Symbol für die Zerstörung des Lügengebäudes, das sie um sich errichtet hatte? Und was musste er denken, wenn er erfuhr, dass Oliver Winkler die Lügen weitergeführt hatte? Um
    Geld zu verdienen?
    Sie griff nach dem Telefon.
    »Denise, verdammt! Wo bist du? Was hast du dir …«
    »Hat er wieder angerufen?«, unterbrach sie Oliver.
    »Nein. Ich möchte, dass du sofort zurückkommst.«
    »Ich komme nicht wieder zurück.«
    »Verflucht, was soll das denn heißen? Drehst du jetzt völlig durch?«
    »Ich weiß, dass du Geld gezahlt hast, um die Brandstiftung zu vertuschen. Du bist schuld«, schrie sie. »Du, du bist schuld. Hättest du die Polizei hier nach dem Täter suchen lassen, wäre Frederik nie entführt worden, und meine Großmutter würde noch leben. Du hast uns verkauft. Ich hasse dich. Verlasse mein Leben. Ich werde dich anzeigen, und du wirst Frederik nie wieder sehen. Nie wieder.«
    Als sie auflegte, zitterte sie am ganzen Körper. Wenigstens eine Sache hatte sie zu Ende gebracht.
    Wieder griff sie zum Telefon. Weder ihr Vater noch Myriam nahmen ab.
    Doch was sie zu erzählen hatte, waren keine Dinge, die man auf Band sprach.

34
    »Nein.« Carl Winklers Stimme hatte noch nie so entschieden geklungen. »Sie können nicht einfach hierherkommen und mir meine Eltern nehmen.«
    Hier ging die Illusion eines Lebens zugrunde. Nicht nur die Illusion. Die Existenz wurde Carl Winkler unter den Füßen weggezogen. Er fand keinen Halt mehr.
    »Beruhige dich.« Josefa Hirschbach saß nervös neben Carl Winkler. Sie versuchte, ihn zu trösten, indem sie ihm unaufhörlich über den Arm strich.
    »Beruhigen? Wir reden hier nicht von einem Autounfall. Es ist auch keine Naturkatastrophe. Das wäre Schicksal. Ein Ereignis, das ich akzeptieren könnte. Doch Sie behaupten …«, sein Finger zeigte auf Myriam, »mein ganzes Leben sei ein einziger Betrug.«
    Myriam hatte Denise’ Vater noch nie so lange an einem Stück reden hören. Er sprang auf und ging im Zimmer auf und ab.
    »Können Sie sich überhaupt vorstellen, wie ich mich fühle? Ich sehe hinter mir nur ein schwarzes Loch. Meine Welt hat sich aufgelöst. Es gibt keinen Zusammenhang mehr zwischen gestern und morgen. Das Heute steht nämlich still, verstehen Sie? Sie sagen, ich habe mich geirrt, nichts sei so gewesen, wie ich dachte. Ich soll mir alles nur eingebildet haben. Familie, Erfolg, Arbeit, Beziehungen, Gefühle. Alles soll Betrug sein. Wie kann ich weiterleben?«
    »Ihre Reaktion ist völlig normal«, versuchte Hannah Roosen ihn zu beruhigen.
    Myriam schaute sich unauffällig um, ob sie irgendwo eine Flasche Alkohol sah. Hatte er getrunken, oder stürzte einen die Nachricht, dass die eigenen Eltern nicht die waren, für die man sie gehalten hatte, tatsächlich in diese Verzweiflung?
    Carl Winkler saß in einem Raum voller Regale, in denen Bücher standen. Er hat sich jahrelang hinter diesen Büchern versteckt, dachte sie, sich geradezu in eine Bücherhöhle verkrochen, sich geistig verbarrikadiert. Keine einzige Wand war ohne Bücher. Niemand kann so viel lesen in einem Leben.
    »Ihre Mutter hat der Krankenschwester viel Geld dafür gezahlt, dass sie geschwiegen hat«, erklärte sie.
    »Es war Krieg. Frankfurt wurde bombardiert. Die Straße, auf der meine Mutter fuhr, als die Wehen einsetzten, wurde bombardiert. Oder meinen Sie, ich hätte von dem Geld nichts gewusst? Natürlich wusste ich es. Meine Mutter hatte viele Fehlgeburten. Sie hat sich ein Kind gewünscht. Sie war Karla Werner dankbar,

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