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Wintermörder - Roman

Titel: Wintermörder - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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gekippt, sodass er direkt auf den getigerten BH unter dem braunen T-Shirt mit dem Riesenausschnitt starren musste, der wirkte wie der Rahmen zu einem Aktgemälde. Als er sich daran erinnerte, nahm Jost noch einen Schluck.
    Gerade als er die Flasche zuschrauben wollte, klingelte das Telefon. Das Display zeigte die Zentrale, die Anrufe für die Redaktion an freie Plätze weiterleitete. Jost hatte gehört, wie der Anruf von einem Apparat zum anderen gewandert war. Er wusste, dass eine Reihenfolge programmiert war, in der er auf dem letzten Platz rangierte. Er war erst achtundvierzig und stand schon auf der Abschussliste.
    Er nahm den Hörer ab: »Jost.«
    Die junge Mitarbeiterin, nicht älter als neunzehn und erst seit Jahresanfang in der Telefonzentrale, klang aufgeregt. Obwohl sie sich um Professionalität bemühte, war die Unsicherheit nicht zu überhören. Ihre schrille Stimmlage verstärkte den Pfeifton, der seit einigen Wochen in Josts Ohren lauerte: »Ich habe hier einen Anrufer. Ich habe nach seinem Namen gefragt, aber er antwortet nicht. Was soll ich mit ihm machen?«
    »Was will er denn?«
    »Er sagt, er hat …« Sie stockte. »Er hat eine Geschichte zu verkaufen.«
    »Eine Geschichte zu verkaufen?«
    »Ja.«
    »Geben Sie ihn an den Sicherheitsbeauftragten. Sie wissen doch, dass hier immer irgendwelche Spinner anrufen, die sich wichtig machen wollen.«
    »Da ist niemand.«
    Jost hielt inne. Sein Bericht war eindeutig im Arsch. Er war pleite, was seine Geschichten betraf.
    »Stellen Sie durch. Ich kümmere mich darum.«
    Auch als ihre grelle Stimme schon aus der Leitung verschwunden war, blieb immer noch der Pfeifton in seinem rechten Ohr. Er verschwand auch nicht, als der Anrufer sagte: »Sie wollen eine Geschichte kaufen?«
    »Mit wem spreche ich?«
    »Wollen Sie?«
    Scheiß drauf, wie der Typ hieß. Die Nummer wurde schließlich angezeigt. Ein Handy. 0175 … Während Jost antwortete, notierte er gleichzeitig die Nummer.
    »Geschichten will ich immer hören. Sind sie gut, kaufe ich sie auch.«
    Der Mann war nicht der Erste, der dachte, er hätte eine Sensation. Bevor diese Spinner sie preisgaben, verhandelten sie normalerweise um den Preis, doch der Anrufer kam gleich zur Sache.
    »Sie kennen die Familie Winkler?«
    »Was?«
    »Wenn Sie nicht zuhören, ist alles vorbei. Sie haben nur eine Minute.«
    Der Mann klang nicht wie ein Spinner. Die waren immer geschwätzig. Jost fühlte, wie das Adrenalin in ihm hochschoss. Winkler, Winkler … der Name kam ihm bekannt vor.
    »Ich höre.«
    »Winklerbau. Frankfurt.«
    Schlagartig wusste Jost, wer gemeint war. Das Frankfurter Bauunternehmen. Hatte es nicht im letzten Jahr vor dem Konkurs gestanden? Sein Gedächtnis arbeitete. Ja, und dann hatte man mehrere Tochterfirmen abgestoßen. Eine Pleite nannte er so etwas, doch der Geschäftsführer hatte etwas von Konsolidierung und Konzentration auf Kernaufgaben gefaselt.
    »Kenne ich.«
    »Ich habe den Enkel entführt.«
    »Was?«
    »Ich habe ihn entführt. Rufen Sie die Polizei an. Am Schlüsselbund von Henriette Winkler hängt ein Schlüssel.«
    »Ein Schlüssel, was für ein Schlüssel?«
    »Zu einem Schließfach.« In die Stimme kam jetzt ein ungeduldiger Unterton.
    Josts Herz klopfte. Seine Hand zitterte, während er mechanisch die Worte schrieb.
Schlüssel, Schließfach.
    »Ich habe verstanden.«
    »Am Bahnhof finden Sie etwas. Es gehört Ihnen.«
    »Bahnhof? Welcher Bahnhof?« Das Adrenalin überspülte jetzt seinen Körper. Er spürte es, als sei er auf diesem Trip wie damals mit zwanzig. Das LSD hatte sein Bewusstsein nicht nur erweitert, sondern ihn in eine erregende Welt katapultiert, wie er sie nie wieder erleben würde.
    »Wie weit gehen Sie?«, hörte er den Mann fragen. Jost spürte die leichte Ironie in dessen Stimme.
    »Wie weit ich gehe?«
    »Ja, wer sind Sie? Ein Mann, der stopp sagt, oder sind Sie ein Profi? Gehen über Grenzen?«
    Fehler konnte er sich nicht leisten. »Im Zweifelsfall darüber.«
    Der Mann am anderen Ende lachte. »Wie heißen Sie?«
    »Jost. Udo Jost.«
    »Geben Sie mir Ihre Handynummer. Ab sofort sind Sie mein Mann. »
    Jost fiel die Nummer nicht ein. Mit zitternder Hand griff er nach seiner Geldbörse. Münzen rieselten auf den Tisch.
    »Noch fünfundzwanzig Sekunden«, sagte der Mann am anderen Ende.
    Er durfte jetzt keinen Fehler machen. Er musste sich konzentrieren. »0173 …«, Jost las die Nummer von der Karte ab. »Soll ich noch einmal wiederholen?«
    »Sie haben noch sechs

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