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Wintermörder - Roman

Titel: Wintermörder - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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Ermittelten in alle Richtungen.
    Dann übernahm Liebler das Mikrofon. Je länger die Liste seiner Erkenntnisse wurde, desto sicherer wusste Udo Jost: Keinen Schritt waren sie weitergekommen. Sie hatten den Mann auf dem Bild nicht identifiziert. Sie hatten schlampig gearbeitet. Das Rätsel war schließlich nicht schwierig gewesen. Der Mann war bekannt. Jeder, der sich für deutsche Geschichte interessierte, musste ihn kennen. Natürlich, er war nur im Profil zu sehen. Aber da war die Stadt im Hintergrund.
    Während ein Kollege die erste Frage stellte, die er, Jost, vorbereitet hatte, saß er unbeweglich da, damit beschäftigt, sich zurückzuhalten: »Können Sie das Handy nicht anpeilen?«
    »Es gibt keinen Kontakt. Wir vermuten, dass er den Akku herausgenommen hat.«
    Myriam Singer übernahm das Mikrofon. Sie war nervös. Unaufhörlich schlug sie mal das eine, mal das andere Bein nach vorne. Ab der Hüfte aufwärts war sie die Sicherheit selbst, aber unterhalb des Tisches strahlte sie pure Nervosität aus. Er spürte, dass sie ihn fixierte. Wenn sie ahnte, was er vorhatte, war es einfach unklug, ihm nicht zuvorzukommen.
    »Wir arbeiten mit Hochdruck daran. Zahlreiche Hinweise sind bereits eingegangen. Auch von Ihnen, den Medien, wofür wir sehr dankbar sind. Diese Hinweise müssen jedoch noch geprüft werden. Sie werden verstehen, dass wir Ihnen hier nicht Ergebnisse liefern können, wenn wir nicht hundert Prozent sicher sind.«
    »Wir«, sagte ein Kollege von der Zeitung, »würden uns schon mit achtundneunzig Prozent zufriedengeben.«
    Zustimmendes Gelächter erfüllte den Raum.
    »Ja, das kann ich mir vorstellen«, lächelte Myriam Singer, »aber ich kann mich damit nicht zufriedengeben. Deshalb muss ich Sie leider auf später vertrösten. Ich denke, dass ich Ihnen morgen mehr sagen kann. Sobald wir neue Ergebnisse haben, wenden wir uns sofort an Sie. Doch verstehen Sie bitte, dass wir zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht mehr sagen können. Wir hoffen aber, dass sich der Entführer bald wieder meldet.«
    »Es gibt Gerüchte, es könnte sich um jemanden handeln, der im Zuge der Umstrukturierungen im letzten Jahr von der Firma Winkler entlassen wurde, also ein Racheakt.« Philipp Roosen, der Ehemann der Polizeipsychologin Hannah Roosen.
    »Verstehen Sie, dass wir dazu nichts sagen können.«
    »Wie wollen Sie denn den Jungen finden? Es ist der zweite Tag, seit er verschwunden ist. Mit jeder Stunde steigt das Risiko.« Ramona Neubergers Stimme hatte einen provozierenden Unterton.
    »Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.«
    Abrupt erhob sich die Staatsanwältin, wobei ihr Knie an den Tisch stieß. Doch sie verzog keine Miene. Sie hatte es eilig, den Saal zu verlassen.
    Die Kollegen begannen, ihre Sachen zusammenzupacken. Jost hörte unzufriedenes Gemurmel und Klagen über die Zeitverschwendung.
    Er wusste intuitiv, was der Entführer von ihm wollte. Aus dem einzigen Grund, weil er es selbst auch so gemacht hätte. Seine Methode war genial. Es war eine Zusammenarbeit, die Freude machte. Er dachte nicht an das Kind, das der Mann in seiner Gewalt hatte.
    »Noch eine Frage.« Er erhob sich langsam.
    Augenblicklich kehrte Ruhe ein.
    Er hatte die Aufmerksamkeit des Publikums auf seiner Seite.
    Die eiserne Lady drehte sich langsam um.
    Verachtung. Das war es, was sie für ihn empfand. Sie roch nach Verachtung. Nicht für ihn, sondern für sein ganzes Geschlecht. Der kurze schwarze Rock, den sie trug, war nur eine Attrappe. Eine reine Versuchsanordnung. Bloße Theorie. Unter diesen schwarzen Rock hatte schon lange niemand mehr gefasst. Nicht, dass er das Bedürfnis hatte.
    »Herr Jost?«, hörte er Liebler sagen, der sich vor die Staatsanwältin schob, als wollte er sie beschützen. »Was können wir für Sie tun?«
    »Wollen Sie uns hier wirklich erzählen, Sie hätten den zweiten Mann noch nicht identifiziert?«, fragte Jost laut.
    Schweigen im Raum.
    »Einen der größten Verbrecher der deutschen Geschichte?«
    Er hatte den Coup geschickt platziert. Sofort richteten sich die Fernsehkameras auf ihn. Blitzlichter flammten auf. Mikrofone wurden vor seinen Mund gestreckt.
    Myriam Winkler hatte sich ihm jetzt voll zugewandt, doch schien sie nicht zu ihrem Platz zurückkehren zu wollen. Aber in einer Minute würde sie sich garantiert wieder setzen müssen.
    »Oder sagt Ihnen der Name Hans Frank nichts?«
    Die eiserne Lady hatte es gewusst. Ihre Mundwinkel zuckten. Sie hatte gewusst, wer der Mann auf dem Foto war, und gedacht, sie

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