Wintermörder - Roman
könnten es der Presse verschweigen. Sie wollte nicht mit ihm zusammenarbeiten, obwohl der Entführer gesagt hatte: »Sie sind mein Mann.«
Jetzt schwieg sie. Natürlich, sie wollte nicht das Gesicht verlieren.
Deshalb fügte er schnell hinzu: »Der Schlächter von Polen.«
Zufrieden stellte er fest, wie seine Kollegen wieder Platz nahmen.
13
Die Luft im Raum war zum Schneiden. Gemeinsam mit Fischer und Liebler versuchte Myriam, die Angelegenheit herunterzuspielen.
Ja, sie hatten Hans Frank ebenfalls identifiziert. Sie waren schließlich keine Anfänger, aber sie baten um Verständnis, um Zusammenarbeit. Hier ging es um ein Menschenleben, nicht um einen politischen Fall. Sie erklärten, dass sie das Foto erst auf seine Echtheit untersuchen mussten. Sie konnten nicht einfach, wie die Medien, Dinge behaupten. Sie mussten Beweise sammeln, und das dauerte seine Zeit.
»Der Täter möchte mit dem Foto provozieren«, erklärte Myriam und bedauerte, dass sie ihre Brille nicht dabeihatte.
»Vielleicht will er auch einfach nur aufklären?«, rief Jost. Er war nicht nur Ansprechpartner des Entführers, sondern auch dessen Verteidiger.
»Wir wollen keine Erklärungen von Seiten des Entführers, sondern wir brauchen Forderungen, um reagieren zu können. Er gibt uns keine Chance. Er gibt der Familie keine Chance. Egal, was es mit diesem Foto auf sich hat, Frederik Winkler hat damit nichts zu tun. Er ist nur ein Kind von sieben Jahren.«
»Vielleicht ist aber genau das die Forderung?« Roosen erhob sich. »Der Entführer fordert, dass wir uns mit der Familie Winkler beschäftigen. Der Mann neben Hans Frank ist der Urgroßvater des entführten Jungen. Die Tatsache, dass er hier neben dem Generalgouverneur von Polen abgebildet ist, lässt darauf schließen, dass er mit den Nazis Geschäfte gemacht hat. Sie müssen doch davon ausgehen, dass der Entführer nicht nur einfach Geld will, sondern Aufklärung.«
»Aber es bringt uns bei der Suche nach Frederik Winkler nicht weiter«, entgegnete Myriam. »Wir müssen herausfinden, wo das Kind ist, und halten uns wie immer an die Spuren, die wir haben.«
»Und wenn es doch nur um Aufklärung geht?«, fragte Roosen.
»Ich hoffe«, meinte Liebler, »immer noch darauf, dass er eine Lösegeldforderung stellt.«
»Wie gehen Sie jetzt weiter vor?«, kam eine weitere Frage aus der Menge.
»Wir werden uns auf folgende Punkte konzentrieren:Wir kennen die Nummer des Handys, mit dem der Entführer angerufen hat, und wir vermuten, dass er auf dem Rastplatz Kassel den Wagen gewechselt hat. Wir bitten Sie darum, in Ihren Berichten einen entsprechenden Aufruf zu machen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass niemand das gesehen hat. Der Junge ist nicht freiwillig mitgegangen.«
»Was ist mit der Mutter? Wird sie sich an den Entführer wenden?«, fragte Jost.
»Dazu ist sie derzeit nicht in der Lage«, antwortete Myriam.
»Wenn das Motiv des Täters aber in der Familiengeschichte liegt, könnte das hilfreich sein.« Wieder Jost. Konnte dem niemand den Mund verbieten?
»Das sind alles Spekulationen«, sagte Myriam, »die niemandem nutzen. Wir bitten Sie eindringlich, immer wieder zu betonen, dass die Familie bereit ist, auf jede Forderung einzugehen.«
»Auch die Leichen aus dem Keller zu holen, die sie dort vor sechzig Jahren vergraben hat?«, fragte Udo Jost mit einem Lächeln. »Denn das will das Foto uns doch sagen. Sie erwarten doch nicht im Ernst von uns, dass wir darüber nicht berichten, dass wir es unter den Tisch fallen lassen.«
Er drehte sich zu seinen Kollegen um.
»Hans Frank wurde nicht umsonst der Schlächter von Polen genannt und zum Tode verurteilt. Er hat Tausende von Menschenleben auf dem Gewissen.«
»Wenn Sie das Thema jetzt breittreten, verhelfen sie ihm zu neuem Ruhm.« Es fiel Myriam schwer, ruhig zu bleiben.
»Was unterstellen Sie uns da, Frau Staatsanwältin?« Über Udo Josts Gesicht ging ein gespielter Ausdruck von Erstaunen »Dass wir den Nazis zuarbeiten, weil wir die Wahrheit berichten? Wissen Sie eigentlich, wer Hans Frank war? Er wurde persönlich von Hitler als Generalgouverneur von Südpolen eingesetzt. In seinem Gebiet lagen Auschwitz und Birkenau. Er sorgte für Razzien, er ordnete öffentliche Erschießungen an, er war verantwortlich für Zwangsverschleppungen, für Ghettos, er hatte das Ziel, Polen zu seinem Arbeitsvolk zu machen, er hat Krakau und das Land um Kunstwerke betrogen.« Nach einer kurzen Pause fügte er mit ironischem Lächeln hinzu:
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